Mobbing hat eine lange Geschichte

Datum: Dienstag, 02. September 2014 08:29


Was raten Sie betroffenen Eltern?
Es gibt verschiedene Beratungsstellen. Man muss gründlich prüfen: was bieten sie an, wie reden sie mit dem Kind und den Eltern, hinterfragen sie gründlich, legen sie Wert auf eine persönliche Beratung. Wenn es sofort eine Lösung gibt, sollte man die Beratung umgehend abbrechen. Die Hilflosigkeit bei diesem Thema betrifft übrigens viele Berufsgruppen, ich habe das auch bei Psychologen und Kinderärzten erlebt.

Sie haben bereits einige Bücher und Materialien für Pädagogen verfasst, wie ist die öffentliche Resonanz, setzen sich die Leute tatsächlich damit auseinander?
Das sind Fachbücher und die haben natürlich eine kleinere Auflage. Sie wenden sich zunächst an Schulen und an Lehrer. Ich werde aufgrund der Bücher dann aber häufig zu Vorträgen oder zu Fortbildungen eingeladen. Eine gute Beratung ist immer praxisorientiert und versucht Menschen Hilfe zu geben, wie sie in konkreten Situationen reagieren können.  Da ich lange an einer Schule gearbeitet habe, kenne ich mich mit diesen Bedingungen auch am besten aus. Mobbing ist in Schulen übrigens in der Regel auch ein Leitungsproblem.

Mit Ihren TV-Auftritten zum Mobbing wagen Sie den Spagat zwischen Unterhaltung und Schaffung einer Öffentlichkeit für das Thema, gelingt das immer?
Weitgehend ja, aber nicht immer. Wir haben aber keinen einzigen Täter bloßgestellt und kein Opfer der Lächerlichkeit preisgegeben. Wir haben versucht, Hilfe zu geben. Das ist schon eine Menge.

Was sagen Kolleginnen und Kollegen dazu?
Am Anfang haben mich viele geschätzte Kollegen, mit denen ich auch zusammen arbeite, davor gewarnt. Ich solle das sein lassen, mit dem Privatfernsehen könne man das nicht machen. Nachher war das ganz anders. Viele Leute vom Privatfernsehen wollen auch sehr seriös und vernünftig arbeiten und können das auch.

Gibt es einen richtigen Weg, wie unsere Gesellschaft sich dem Thema stellen müsste?
Natürlich, aber mit einer ganzen Gesellschaft ist das auch ein Problem. Man müsste das Mobbing zuallererst entzaubern. Wer mobbt, ist nicht stark und nicht cool, sondern er hat es nötig. Da fehlt es an Aufklärung, das Mobber das Problem eigentlich selbst haben. Jeder von uns hat Schwächen, ich kenne keinen Menschen ohne Schwächen. Wir haben alle unsere Probleme. Da kann man natürlich reinschlagen. Aber was ist mit dem los, der das tut und es nötig hat? Bei Trainings gegen Mobbing kann man die Mobbenden genau an diesem Punkt sehr gut packen. Wenn man sie fragt: was bringt dir das, fühlst du dich besser, hast du es nötig? Auf der anderen Seite muss es viel stärkere Konsequenzen und Sanktionen beim Mobbing geben. In der Schule verlassen in 95% der Fälle die Opfer die Klasse, nur in 5% der Fälle trifft es die Täter. Das halte ich für eine Wahnsinnszahl, die ausdrückt, welche Schwierigkeiten dort noch existieren. Wir müssen viel deutlicher machen, das Mobbing nicht nur eine Sache zwischen Opfer und Täter ist, sondern das ganze soziale System, in dem es stattfindet, zutiefst beschädigt. Eine Gruppe, in der gemobbt wird, belastet auch alle vermeintlich Unbeteiligten. Viele leiden unter Angst, als nächste dran zu sein. Die Aufklärung, wie sehr Mobbing auch den Unbeteiligten schadet, muss unbedingt mehr forciert werden.

Apropos System: Ist Mobbing kulturabhängig oder gibt es zwischen Ländern keine großen Unterschiede?
Nach allem was ich weiß gibt es in den Ländern ähnliche Mobbingquoten. Allerdings kann ich nicht beurteilen, wie diese Zahlen zu Stande kommen. Ich weiß aber, dass die Skandinavier sehr viel gegen Mobbing tun und auch geringere Quoten haben. Eine kürzlich veröffentlichte Studie unterstreicht das: wenn es einen Konsens gegen Mobbing und einen Verhaltenskodex gibt und dann auch Maßnahmen gegen Mobbing ergriffen werden, dann wird es weniger. Je aufgeklärter eine Gesellschaft ist, desto weniger findet Mobbing statt. Da sind uns die Skandinavier weit voraus.

... wie in vielen Erziehungs- und Bildungsdingen! Wenn Sie drei Wünsche frei hätten, etwas gegen Mobbing zu tun, wie würden Sie diese verwenden?
Für mich wäre der erste Wunsch: mehr Zivilcourage für alle! Mobbing passiert nur, weil es zugelassen wird. Der zweite Wunsch wären Vorgesetzte, die nicht wegschauen. Sehr häufig schauen Lehrer und auch Chefs beim Mobbing weg. Sie sollten zuhören und eingreifen. Mobbing hat immer etwas mit Leitungsschwäche zu tun. Als letzte Sache wären mehr Fußball-WM toll, da wird erstaunlich wenig gemobbt. Im Ernst: wenn das Umfeld, ob Schule oder Arbeit, im weitesten Sinne lustvoll ist und Spaß macht, dann ist auch die Zufriedenheit und das Klima besser und auch dann tritt weniger Mobbing auf. Nimmt man die letzten beiden Aspekte zusammen, ist eine freundliche, positive Atmosphäre verbunden mit der notwendigen Konsequenz durch die Leitenden, egal ob in Schule oder Kita, das beste Mittel gegen Mobbing.