Der König von Tamusiland

Datum: Montag, 05. März 2012 12:15

"Der König von Tamusiland"

Interview mit Detlev Jöker

Detlev Jöcker ist seit Jahren der erfolgreichste Kinderliedermacher Deutschlands. Dabei legt er bei seinem Liederprogramm besonderen Wert auf ein pädagogisches Konzept – was man auch den vielfältigen Angeboten seines Verlags „Menschenkinder“ anmerkt. Als Vater von vier Kindern weiß Detlev Jöcker, welche Bedürfnisse kleine Schützlinge haben – und wie man sie mit modernen und heiteren Kinderliedern nicht nur unterhält, sondern gleichzeitig in ihrer Bewegung und Motorik fördert. Er bietet mit seiner Musik auch eine hervorragende Basis für eine enge Beziehung zwischen Erzieher und Kindern – und natürlich auch für Eltern, die zu seinen Songs mit den Kleinen im Kinderzimmer tanzen. Wir sprachen mit dem umtriebigen König aus Tamusiland:

Sie sind immerhin schon 60 Jahre und machen immer noch wunderschöne Kinderlieder – wird einem das nicht irgendwann zu kindisch?
Nein überhaupt nicht. Wir Erwachsenen nehmen oft auch unser inneres Kind mit durch Leben und stoßengenau wie Kinder immer wieder an Grenzen. Egal ob es dabei um Freundschaften oder eine Partnerschaft geht – und in der Rückschau merken wir dann, wie sehr unsere Kindheit uns beeinflusst hat. Das erlebe ich in meinem Beruf durch die Arbeit mit und für Kinder ja tagtäglich und setze mich viel damit auseinander, wo die Quelle zur Liebesfähigkeit, zur Freundschaftsfähigkeit und zum sozialen positiven Verhalten liegt. Vielleicht habe ich deshalb auch so wenig graue Haare und sehe jünger aus als andere. Mein Beruf hat also nicht nur etwas damit zu tun, Kinderlieder zu schreiben. Ich sehe das alles auch als wesentlichen Bestandteil meiner Persönlichkeitsentwicklung. Das hat mit kindisch nichts zu tun. Es lässt mich aber als 60-jährigen Großvater zweier Enkel die Welt ein bisschen anders sehen, sicher mit mehr Spaß und Freude als bei manch anderem. Eine ganz wichtige Voraussetzung bei allem ist aber: Mann muss Kinder mögen. Und ich mag Kinder.

Welche Rolle hat denn Musik in ihrer Familie gespielt und welche spielt sie noch – können Sie das Berufliche überhaupt vom Privaten trennen?
Viele sind überrascht, wenn sie erfahren, dass meine Kinder jetzt zwischen 17 und 37 alt sind. Die waren aber auch mal klein. Ich habe damals Musik studiert und als Musiker im Studio Geld verdient. Dann hatten wir eine kleine Wohnung, das erste Kind kam, dann das zweite – und mein Keyboard stand in der Küche herum. Da fing ich an, den Kindern Lieder vorzusingen. Als sich eines unserer Kinder beim Wickeln immer wehrte, habe ich spontan ein Wickellied entwickelt, das ihn beruhigt hat. Als David später mit sechs Jahren eingeschult wurde, habe ich vergeblich Einschulungslieder gesucht und musste die dann selber machen. So sind meine Kinder mit meinen Liedern und meiner Musik groß geworden. Das ich dann mal auf Bühnen stehe und das über so viele Jahre mache und dann auch so erfolgreich, darüber habe ich damals überhaupt gar nicht nachgedacht.

Durch ihre Arbeit haben Sie beständig Kinder um sich, fragten Ihre Kinder oder fragen jetzt ihr Enkel nicht manchmal: Warum spielt er mit denen und nicht mit mir?
Nein. Wir haben unsere Kinder oft zu den Vorstellungen mitgenommen. Manchmal schliefen sie auch hinter der Bühne, wenn sie müde waren. Wenn sie das aber mitbekommen haben, wie Papa auf der Bühne steht, waren sie immer ganz stolz.

Bei vier Kindern ist es sicher oft nicht einfach, Arbeit und Familie unter einen Hut zu bekommen. Wie haben Sie es geschafft, dass beim Musikerleben zwischen Studio, Tour und TV die Familie nicht zu kurz kommt?
Sicher ist sie manchmal zu kurz gekommen. Wir mussten auch erstmal lernen, das alles zu organisieren. Der Erfolg kam ja nicht geplant. Im Grunde genommen war ich zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle. Es gab damals kaum Lieder für die Kleinen. Angefangen hat das auch mit kleinen Kindergartenkonzerten – und dann wurde immer mehr daraus. Wenn ich dann länger unterwegs war und wieder nach Hause kam, habe ich sehr schnell gemerkt, dass ich dann auch präsent sein muss. Wenn der Papa wieder da war ging es nicht, dass ich mich zurück zog. So habe ich auch den Verlag „Menschenkinder“ in unserem Haus gegründet und dafür den Keller leer geräumt. Dann hatten wir eine größere Wohnung, da fand der Verlag in der Wohnung statt – und später haben wir dann ein Haus genau auf der gegenüberliegenden Seite des Verlags gemietet. Die Kinder und ich hatten es also nie weit.

Der Verlag ist sozusagen mit der Familie mitgewachsen?
Ja – und natürlich hat bei all der Arbeit auch Zeit für die Kinder gefehlt. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass meine Kinder dadurch gestört sind. (lacht) Sie gehen jetzt ihren weg – und sind allesamt nicht Musiker geworden. Vielleicht auch, weil sie gesehen haben, wie viel Arbeit dahinter steckt. Da sind sie eben lieber Banker, Regisseur und Wirtschaftsstudent geworden.

Wenn sie mal an ihre Kindheit zurück denken, welches Lied fällt ihnen da zuerst ein?
Ganz klar: Alle meine Entchen. Das liegt daran, dass meine Oma über einen kleinen Teich mit Enten verfügte und ich die total niedlich fand. Das ist auch ein Grund, warum ich meine neuen Kinderlieder vor allen Dingen für die Kleinsten mache. Denn wo sehen Kinder heute noch einen Ententeich? Der Erfahrungskosmos der alten Kinderlieder entspricht ja nicht dem, was Kinder jetzt erfahren – und daraus resultiert auch der Bedarf nach neuen Liedern mit aktuellen Themen.

Apropos mangelnde Erfahrungen für Kinder: Sie bieten auf Ihrer Internetseite auch Hinweise zu gesunder Ernährung, zu Bewegung, spielen, basteln und geben sogar selbst Fortbildungsveranstaltungen. Sehen Sie sich eigentlich schon mehr als Pädagogen oder gar Weltverbesserer?
Weltverbesserer nicht (lacht). Man kann die Welt nicht verbessern, dass weiß ich mittlerweile. Aber ich kann sie positiv mitgestalten – und das tue ich mit einer Art Gesamtkonzept. Ich verfüge über die Gabe, Melodien zu komponieren, die in die Ohren, Beine, Hände, und die Herzen der Kinder gehen. Früher habe ich Lieder für meine Kinder geschrieben, dann wurden sie immer interessanter für andere Menschen. Später fand ich heraus, dass viele Erzieherinnen gern mit Kindern singen, aber selbst oft Hemmungen wegen ihrer Stimme haben oder Kinder nicht motivieren können. Da half mir meine Erfahrung als Schauspieler, Pantomime und studierter Musiker und ich habe in meiner ersten Fortbildungsgruppe 8 Religionslehrer mit ganz einfachen Tipps und Hinweisen Mut gemacht, frei nach dem Motto: Jeder kann Lieder singen. Bei der Gelegenheit habe ich natürlich meine Lieder vorgestellt, sodass die Lehrer bzw. Erzieherinnen mit meinen Liedern in ihre Einrichtungen gingen – und so hat sich das dann in Deutschland verbreitet.

Sie machen das jetzt dreieinhalb Jahrzehnte, stand ihnen da auch mal der Sinn nach etwas anderen?
Nein. Ich bin als Künstler auch nicht gebunden und habe meine eigene Plattenfirma. Dadurch kann ich frei entscheiden. Meinen Hunger nach Veränderung konnte ich bislang auch immer stillen, indem ich mit unterschiedlichen Produzenten zusammen gearbeitet und immer wieder neue Farbe in die Musik gebracht habe. In der Arbeit mit Kindern und mit Kindermusik habe ich so einen Reichtum an Möglichkeiten und Veränderungen gefunden, dass ich auch ganz persönlich immer auf meine Kosten gekommen bin. Das ist eine große Vielfalt – von Fortbildungsveranstaltungen bis zur aktuellen Regie der Tamusiland-Tour. Ich bin immer noch Feuer und Flamme und habe genug Ideen.

Wenn wir gerade bei Tamusiland sind. Was steckt denn eigentlich hinter diesem Namen?
Tamusiland steht für Tanzen, Musik machen und Singen. Dahinter steckt eine ganz interessante Geschichte. Ich habe vor einigen Jahren viel Fernsehen gemacht und hatte damals auch eine Fernseh-Promoterin, die den ganzen Tag nur damit beschäftigt war, Beziehungen zu Fernsehsendern zu knüpfen. Dadurch bin ich fast 2 Jahre lang sehr oft im Fernsehen gewesen, von verschiedenen Talkshows bis zu „Wetten Dass..?“. Dann habe ich aber festgestellt, dass es doch sehr viel Zeit in Anspruch nimmt und mich in so eine Promi-Situation bringt, in die ich eigentlich nie wollte. Es machte mir auch nicht wirklich Spaß – und genau die Freude und den Spaß an meiner Musik wollte ich mir nicht nehmen lassen. Deshalb habe ich mich lieber wieder meinen Tourneen und der Produktion von CDs gewidmet. Dann wurde ich aber ausgerechnet von SuperRTL angesprochen, der seinerseits nicht zu meinem Lieblingskindersender gehörte, ob ich mir vorstellen könnte, neue Lieder zu schreiben, mit denen Kinder jeden Morgen, um 6:60! Uhr singend geweckt und mit viel Bewegung fröhlich in den Tag geschickt werden. Das hat mir als pädagogisches Konzept gut gefallen – und daraus wurden 26 Lieder und ein absoluter Quotenhit, da haben in Spitzenzeiten tatsächlich210 000 Eltern und Kinder zugeschaut.

Hören sie privat trotzdem auch mal so richtig laute Rockmusik?
Ja natürlich. Die Foo Fighters liebe ich. Ich liebe im Grunde jede Musik, die groovt. Ich bin ein großer Fan von Toto und bin ganz früher mit den Beatles groß geworden. Auch die Rolling Stones. Am Anfang waren sie nicht so meine Kragenweite, aber irgendwann habe ich sie dann doch gemocht. Und als Musiker hab ich ja auch mal Theatermusik gespielt, Geigenmusik, vorallem Bach und Vivaldi, finde ich auch sehr schön. Es sind also ganz unterschiedliche Musikrichtungen – aber gut gespielte Rockmusik gehört in jedem Fall auch dazu.

Sie sind ja derzeit wieder auf Tamusiland-Tour. Was denken sie denn, wie lange sie noch so unbeschwert mit den Kleinen toben und tanzen können?
So lange mir das Freude macht und dem Publikum auch. Das klingt vielleicht abgedroschen, aber es ist so. Manchmal werde ich auch gefragt, wie oft ich schon „1,2,3 im Sauseschritt“ gesungen habe, da steckt im Grunde die gleiche Frage dahinter. Auf der aktuellen Tour haben wir knapp 100 Veranstaltungen in ca. 60 Städten – und trotzdem ist es jedes Mal anders. Ich singe zwar die Melodie, aber ich variiere das Lied. Solange ich noch aus dieser Quelle der Inspiration schöpfen und das auch transportieren kann, gibt es für mich keinen Grund, nicht auf der Bühne zu stehen.

Wenn sie für unsere Kinder ganz allgemein 3 Wünsche frei hätten, was würden Sie für sie verändern?
Wieso 3 wünsche? Mir fällt da nur ein Wunsch ein, der aber 3 Sachen beinhaltet. Ich erlebe oft, das Eltern überfordert sind, mit einem Kind ändert sich ja auch ganz viel. Da erkennen gerade junge Eltern ihre Grenzen oder auch ihre Fähigkeiten, liebesfähig zu sein. Ich bin davon überzeugt, dass wir auf dieser Welt leben, um zu lieben. Da sind Kinder auch eine ganz große Chance. Aber das kann auch manchmal richtig brutal sein. Im Sinne des Spruchs: „Wenn Kinder klein sind, gebt ihnen Wurzeln. Wenn Sie groß sind, gebt ihnen Flügel“ wünsche ich mir, dass alle Eltern die Möglichkeit haben, ihre Kinder als einen Spiegel ihrer selbst zu erkennen. Nur dann können sie Hand in Hand mit ihnen auch ihre eigene Kindheit noch einmal versöhnend erleben. Wenn das passiert, kann man erkennen, dass diese Kinder auch selbstständige Menschen sind, aber auch ein Teil von einem selbst. So entsteht ein Gefühl von Respekt. Und wenn man Kindern respektvoller entgegen treten würde, dann würde sich vieles ändern. Das wäre mein Wunsch.

Das ist ja schon ein Stück Altersweisheit Herr Jöcker ...
Meine Kinder sagen eher Altersmilde. Aber es ist tatsächlich so: Ich gehe auf die 60 zu und sehe und fühle die Endlichkeit meines Lebens. Aber ich verstehe auch immer mehr die Gesetze und die Zusammenhänge meines Lebens, denn in meinem Lebenszyklus konzentriert das Bewusstsein seine Kräfte auf eine Innenschau, das die geistige Energie wird merke ich auch an der Auswahl der Bücher oder Gespräche oder der Menschen, die kenne. Ich lache auch gerne. Ich entdecke die Magie der Freundlichkeit. Als junger Mensch bin ich auch mal ein Heißsporn gewesen, aber heute bin ich viel entspannter. Die letzten 10 bis 20 gesunden Jahre, die möchte ich in Frieden mit mir und meinen Mitmenschen erleben

Danke für das Interview