„Trollt Euch über Wald und Wiesen“

Datum: Donnerstag, 01. April 2021 15:10


Foto Die Hoffotografen GmbH Berlin

Kinder brauchen Erfahrungen in der Natur, sagt NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger. Im Interview gibt er Tipps, wie Eltern das unterstützen können und erklärt, warum die Lausitz derzeit besonders im Fokus des Naturschutzbundes Deutschland steht.

Es heißt oft, Kinder würden heute nicht mehr so viel Zeit draußen in der Natur verbringen, wie noch ihre Eltern- und Großelterngeneration. Beobachten Sie diesen Trend ebenfalls?

Die Antwort auf die Frage hängt vor allem davon ab, wie man Natur definiert: Kann man die nur im Wald und auf der Wiese erleben oder auch im Stadtpark? Ich nehme es eher so wahr, dass Kinder heute viel weniger freie Zeit zur Verfügung haben. Durch Ganztagsschulen und organisierte Hobbys sind ihre Tage häufig durchstrukturiert. Insofern glaube ich, dass die Zeit, in der sich Kinder wie früher einfach durch Wald und Wiese getrollt haben, tatsächlich weniger geworden ist.

In den zurückliegenden Wochen blieb Familien in erster Linie die grüne Scholle vor der Haustür als Ausflugsziel. Inwieweit hat sich durch die Pandemie der Bezug der Menschen zur Natur verändert?

Ich denke schon, dass die Bedeutung von Natur als Erholungs- und Freizeitraum zugenommen hat. Viele Menschen haben erst durch den Lockdown die Natur als ebenbürtige Möglichkeit der Freizeitgestaltung im durchgetakteten Alltag wahrgenommen. Die Krise hat ein Stück weit dazu beigetragen, die Balance wiederzufinden zwischen dem Erleben in der Natur und den organisierten Spaß- und Freizeitangeboten. Dieses steigende Interesse haben auch wir gespürt. Bei unserer halbjährlichen Vogelzählung sind die Teilnehmerzahlen deutlich nach oben geschnellt. Für unseren Newsletter, den wir im ersten Lockdown erstmals veröffentlicht haben, hatten wir innerhalb von nur zwei Wochen 150.000 Follower. Und auch draußen in Parks und Wäldern hat man mehr Menschen getroffen als sonst, das habe ich in Berlin sehr stark wahrgenommen.

Warum sollten Familien auch unabhängig von der aktuellen Situation mit den Kindern viel Zeit in der Natur verbringen?

Das Draußensein in der Natur bietet ganz viel Lern- und Körpererfahrung: Dort spüren Kinder, wie es sich anfühlt auf nassem Boden zu stehen, wie kalt das Wasser im See ist, wie sich Matsch anfühlt oder der haptische Unterschied zwischen rauer Rinde und weichem Moos. Die Natur ermöglicht wichtige Erfahrungen über die Sinne. Wenn Kinder die Möglichkeit bekommen, diese körperlichen Erfahrungen draußen zu machen, dann kann unsere Natur für sie zum Rückzugsort werden. Gerade die Pandemie, in der wir viel zu Hause bleiben mussten und viel vor Bildschirmen saßen, hat offenbart, wie wichtig Natur ist. Insofern lautet mein Tipp: Geht raus! Das gilt nicht nur, wenn man auf dem Land lebt. Auch die Stadt bietet grüne Rückzugsräume wie Parks.

Gerade ältere Kinder sind aber manchmal schwer zu motivieren. Wie machen Eltern Kindern Lust auf Natur?

Was da helfen kann, ist der Blick aus Sicht der Kinder. Da kann man den Spaziergang mit einem Wettbewerb verbinden: Wer sieht die meisten Vögel oder Blumen? Auch ein Highlight am Ende der Tour kann motivieren, wie ein Besuch im Eiscafé. Aber natürlich ist es nicht zuletzt eine Frage, wie stark es in der Familie verankert ist, gemeinsam Zeit draußen zu verbringen – sei es am See oder im Wald.

Welche Möglichkeiten haben Familien in der Lausitz, sich aktiv für die Natur zu engagieren?

Zum einen haben wir unsere bundesweit mehr als 1.000 Kindergruppen, in denen wir Angebote machen. Da sind die Kinder unter fachlicher Anleitung gemeinsam mit der Becherlupe unterwegs, machen Entdeckerspiele im Wald oder treffen sich zu Arbeitseinsätzen. Zudem bieten wir als NABU mit unseren NABU-Gruppen vor Ort die Möglichkeit, sich zu engagieren. Wenn ich in die Lausitz schaue, fällt mir beispielsweise unser Natur- und Bildungszentrum im Alten Forsthaus Kolkwitz mit seinen vielen Angeboten ein.

Wie können Eltern ihren Kindern auch unabhängig von einem solchen Engagement Wertschätzung für Natur vermitteln?

Abstrakte Themen wie Klimawandel werden für Kinder konkret erfahrbar, wenn sie einen Bezug zu ihrer Lebenswirklichkeit haben. Eine wertschätzende Haltung kann man bereits im Alltag vermitteln. Das fängt damit an, das Wasser nicht länger als nötig laufen zu lassen, keine Lebensmittel wegzuwerfen, Türen und Fenster beim Heizen zu schließen und darüber auch zu sprechen. Mit älteren Kindern kann man über Saisonalität reden: Welches Obst und Gemüse wächst gerade? So entwickelt man eine gewisse Sensibilität für das Thema.

Sie leben selbst in Berlin, sind aber sicher auch in Brandenburgs Landschaften unterwegs – was schätzen Sie an der märkischen Natur?

Ich versuche, so häufig wie möglich in der Natur zu sein. Ich bin sehr gern am Stechlinsee, an dem ich vor vielen Jahren meine Diplomarbeit geschrieben habe. Auch in der märkischen Schweiz bin ich viel unterwegs. In der Uckermark wiederum übernehme ich unser Vogelmonitoring. Und zunehmend erschließe ich mir auch die Regionen südlich von Berlin und komme immer mal in die Lausitz, die ja vor großen Veränderungen steht.

Inwiefern ist der NABU Bestandteil des Lausitzer Wandels und begleitet diesen vor Ort?

Die Lausitz ist derzeit eine der spannendsten Regionen Deutschlands. Unsere NABU-Gruppen setzen sich intensiv mit Fragen auseinander, wie der Wandel gelingen kann. Wie kann ein Zukunftsmodell aussehen, von dem die Menschen in der Lausitz leben können, das attraktiv als Erholungs- und Tourismusregion ist und wo sich die Ökologie wieder neu einpendelt? Daher schauen wir als Bundesverband: Was entwickelt sich aus der Region und wo können wir die Initiativen der NABU-Gruppen unterstützen und weiterentwickeln? Zudem stellt sich die Frage, wie man mit den ehemaligen Tagebauflächen umgeht: Wo kommt als Folgenutzung Natur in Frage, wo Freizeit oder Industrie? Mit unserer NABU-Stiftung Nationales Naturerbe haben wir das rund 2.000 Hektar große Schutzgebiet Grünhaus auf ehemaligem Tagebaugebiet erworben, dort ist mittlerweile ein echtes Naturparadies entstanden. Wir wollen schauen, ob dabei vielleicht auch Modelle entstehen, die man auf andere Regionen übertragen kann.