„Mehrsprachigkeit ist das Normalste der Welt“

Datum: Montag, 27. März 2023 17:28

Warum die Zweisprachigkeit der Lausitz ein großer Vorteil für Familien ist, wieso wir das Sorbische nicht nur auf Osterbräuche reduzieren sollten und wo man das Sorbische abseits von Sprachkursen und Ostern noch erleben kann, verrät Dawid Statnik im Interview. Er ist Vorsitzender der Domowina, des sorbischen Dachverbands.

Was macht für Sie sorbische Heimat aus?

Die sorbische Heimat ist ein Ort der Identität und der kulturellen Verbundenheit. Für mich als muttersprachlichen Sorben ist die sorbische Sprache dabei der zentrale Punkt meiner Identität. In dieser Sprache bin ich aufgewachsen. Als Kind glaubte ich, dass alle Menschen auf der Welt sorbisch sprechen, denn es war für mich ganz normal. Diese Normalität und damit auch Heimat, gebe ich heute mit meiner Muttersprache an meine Kinder weiter.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Gemeinschaft. Ich lebe im ländlichen Raum. Dies entspricht dem Großteil der Lausitz. Es ist schön, wenn man die Person hinter dem Gartenzaun kennt und ein freundlicher Plausch möglich ist. Das gibt ein Gefühl der Geborgenheit.

Die sorbische Heimat ist auch eng mit dem sorbischen Volk verbunden, das eine lange und vielfältige Geschichte hat. Das sorbische Volk litt in der Vergangenheit oft unter Unterdrückung und Assimilierung, aber dennoch hat es seine kulturelle Identität bewahrt. Viele Sorbinnen und Sorben fühlen sich der sorbischen Heimat und ihrer Kultur verpflichtet und tragen aktiv zur Bewahrung und Weiterentwicklung der sorbischen Identität bei. Sprache, Musik, Trachten und Tänze sind wichtige Bestandteile der sorbischen Kultur. Aber auch moderne Facetten gehören dazu. Zum Beispiel das Kolektiw Wakuum, ein sorbisches Kultur- und Kunstkollektiv, welches für eine lebendige, feministische und inklusive Kulturszene der Lausitz steht. So werden neue Räume für mehr sorbische Subkultur und Knotenpunkte zur Vernetzung bestehender Projekte zwischen Sorbinnen und Sorben, Nichtsorbinnen und Nichtsorben geknüpft.

Was braucht es noch, damit die Vielfalt des sorbischen Lebens nicht nur auf Ostereier und Osterreiter reduziert wird?

Aus unserer Sicht ist der wichtigste Punkt Bildung und Aufklärung. Nur wenige wissen etwas über die sorbische Kultur und Geschichte. In der Schule wird zu wenig darüber informiert. Auf bundesdeutscher politischer Ebene setzen wir uns gerade für eine Initiative zur besseren Wissensvermittlung ein. Jeder in Deutschland müsste wissen, welches die vier autochthonen nationalen Minderheiten in Deutschland sind – das sorbische Volk gehört dazu. Hier sehen wir die Bildungsministerien der Bundesländer in der Pflicht.

Aber auch eine stärkere Präsenz sorbischer Themen in den Medien kann dazu beitragen, Wissen zu vermitteln. Wenn man nur auf schöne Ostereier und Osterreiter reduziert wird, kann auch kein anderes Bewusstsein wachsen. Es gibt viele Sorbinnen und Sorben, die nicht Ostereier verzieren oder als Osterreiter die Auferstehung Jesu verkünden. Dennoch sind sie vollwertige und liebenswerte Mitmenschen. Ist an sich auch ganz normal, da auch nicht jeder Deutsche Lederhosen trägt und Weißwürste isst. Man stelle sich einmal vor, welches Selbstbild das erzeugen würde, wenn stets dieses eine Stereotyp in den Medien verbreitet werden würde.

Wie kann das Sorbische zu einem gelingenden Strukturwandel in der Lausitz beitragen?

Ein Bewusstsein für die sorbische Sprache kann dazu beitragen, die Widerstandsfähigkeit der Gemeinschaft gegen Veränderungen zu erhöhen – hier spricht man von Resilienz. Denn, wenn man weiß, was die Region ausmacht, kann es helfen, neue Leitbilder zu entwickeln und Veränderungen gemeinsam zu meistern. Auch wenn in der Lausitz nur ein geringer Teil der Bevölkerung der sorbischen Sprache mächtig ist, so ist das sorbische in vielen Dingen des Alltags wiederzufinden. Viele Orts- oder Familiennamen zeugen von der sorbischen Geschichte der Region.

Wenn es uns gelingt, die sorbische Sprache und Identität zu stärken, ist es auch ein relevanter Faktor für den Tourismus. Die Lausitz ist eine der wenigen Regionen Deutschlands, die zwei Sprachen beheimatet. Dabei sollte auch die Förderung der generellen Mehrsprachigkeit Beachtung finden. Die sorbische Sprache kann dazu beitragen, die Mehrsprachigkeit in der Region zu fördern. Menschen, die Sorbisch sprechen, sind auch in der Lage, Deutsch, Englisch und häufig auch andere slawische Sprachen zu sprechen. Dies kann dazu beitragen, die Verständigung zwischen verschiedenen Kulturen und Sprachgruppen zu verbessern und somit die Zusammenarbeit in der Region zu stärken. Ein Großteil der Weltbevölkerung ist mehrsprachig – somit ist es eigentlich das normalste der Welt.

Welche Vorteile bringt es meinem Kind, wenn es in der Kita oder Schule sorbisch lernt?

Es steht jedem frei, die sorbische Sprache zu erlernen. Viele sorbische Familien haben die Sprache abgelegt. Das hat verschiedenste geschichtliche Gründe. Erfreulich ist, dass die Sprache in genau solchen Familien heute eine Renaissance erlebt. Aber auch Familien, die bisher keinen familiären Bezug hatten, sind der Sprache offen gegenüber.

Das Erlernen der sorbischen Sprache kann Kindern helfen, Verständnis und Wertschätzung für die sorbische Kultur und Geschichte zu entwickeln. Dies kann dazu beitragen, das kulturelle Bewusstsein und die Toleranz des Kindes zu fördern und seine Perspektive auf die Welt zu erweitern.

Wie läuft der Austausch zwischen der Oberlausitz und der Niederlausitz?

Auch wenn wir von der Ober- und der Niederlausitz sprechen und auch, wenn wir zwei Sprachen sprechen, wir sehen uns als ein Volk. Somit ist der Austausch beider Gebiete uns in gewisser Weise in die Wiege gelegt. Viele sorbische Institutionen sind einzigartig und wirken in beiden Teilen der Lausitz. Damit ist ein regelmäßiger Austausch gegeben. Auch die Domowina, die ein Dachverband ist, in dem ca. 200 Gruppen und Vereine organisiert sind, agiert sowohl in der Ober- als auch in der Niederlausitz. Natürlich haben wir auch regionale Unterschiede. Aber genau das macht es so spannend. Wir haben den Spreewald an der einen und die Lausitzer Berge an der anderen Seite. Geografisch, geschichtlich und sprachlich sind wir damit eine sehr reiche Region. Die Unterschiede zwischen der ober- und der niedersorbischen Sprache sind gegeben, sie sind jedoch so, dass man auch als Niedersorbe obersorbisch versteht. Ich spreche beide Sprachen. In der Schriftsprache häufen sich die Fehler dann eher in der niedersorbischen Sprache, da ich muttersprachlich Obersorbe bin. Für mich ist es immer faszinierend, wenn ich Wörter im Kopf habe, die ein Gefühl oder eine Emotion beschreiben, das aber nur in einer Sprache so funktioniert – Obersorbisch, Niedersorbisch oder Deutsch. Ganz klar ist: Sprachen sind ein Reichtum. Wir als Domowina unterstützen den regelmäßigen Austausch. Unsere Regionalverbände organisieren Exkursionen und Veranstaltungen. Ein eher lustiger Nebeneffekt: Wir haben in der Lausitz so viele Veranstaltungen und Highlights, da können sie gar nicht alles besuchen.

Wenn Familien nach der Lektüre der aktuellen lausebande Lust auf mehr sorbisch bekommen haben: Was empfehlen Sie ihnen konkret?

Am besten erleben kann man das Sorbische, wenn man sich selbst einen Ruck gibt und uns in der Lausitz besucht. Sei es das Sorbische Museum in Bautzen, oder das Wendische Museum in Cottbus. Hier kann man vieles über Geschichte und Gegenwart erfahren. Insbesondere das Sorbische Museum in Bautzen hat einen ausgezeichneten Audioguide für Kinder. In Dissen gibt es eine wunderbare Ausstellung zur frühslawischen Besiedlung. Da ist Raddusch mit der Slawenburg auch nicht weit. Alles ist in einer Gegend gelegen, die geradewegs dazu einlädt, mit dem Fahrrad zu kommen.

Aber auch andere kulturelle Veranstaltungen sind zu nennen. So findet in diesem Jahr endlich wieder das Internationale Folklorefestival Lausitz statt. In der Zeit vom 6. bis 9. Juli findet dieses in Bautzen, Drachhausen und Crostwitz statt. Wer sich eher für Fußball begeistern kann, dem sei die diesjährige Europeada – die Fußballeuropameisterschaft der autochthonen nationalen Minderheiten Europas ans Herz gelegt. Diese findet Ende Juni in Schleswig-Holstein bei unseren Freunden der friesischen Volksgruppe und der dänischen Minderheit statt. Anders als die deutsche Fußballnationalelf hat es die sorbische Auswahl im vergangenen Jahr sogar bis ins Halbfinale geschafft. Da haben sogar der RB Leipzig, Energie Cottbus und Dynamo Dresden gratuliert.