Singvögel

Datum: Donnerstag, 29. September 2011 11:33

Es gibt Väter, die singen können. Und es gibt mich. Schon in der achten Klasse erkannte mein damaliger Musiklehrer, dass Melodien und mein Leben so sehr zusammen gehören wie Intellekt und Naddel. So wurde mein Klassenkollektiv von meinen auch für mich unkontrollierbaren Gesangsversuchen befreit und ich durfte fortan die Liedtexte ohne Gesang aufsagen. Seit diesem Moment schien ich auf ewig davon entbunden zu sein, anderen etwas vorsingen zu müssen. Ich hatte die Rechnung aber ohne das Vatersein und die vorbehaltlose Liebe eines Kleinkindes zu väterlichen Mitteilungen gemacht – egal ob gesprochen oder gesungen. Meine Tochter erstrahlte förmlich, als ich ihrem gefühlt jahrelangen Betteln um ein Vorsingen aus ihrem Lieblingsbuch mit Pferdeliedern endlich nachgab. Jeder Vater weiß, dass Töchter überirdische oder hypnotische Fähigkeiten besitzen, mit ihrem Kulleraugenschmollblick in uns eine vollkommene Willenlosigkeit und Selbstaufgabe zu Tage zu fördern, die uns Dinge tun lässt, für die wir uns unter normalen Umständen selbst zu Einzelhaft verurteilen würden. Mich brachte dieser Blick zum Singen. Das Lied „Hopp, Hopp, Pferdchen lauf Galopp“ mit seiner einfachen Melodie konnte ich mir selbst noch verzeihen, aber beim mir unbekannten „Bibi und Tina-Lied“ mit von mir frei erfundener Melodie beobachtete ich erschrocken meine Tochter, ob ein kindliches Wesen so viel musikalische Grausamkeit unbeschadet verkraftet. Und was machte die Kleine: Wie ein Honigkuchenpferd freute sie sich und machte das Vorsingen zum regelmäßigen Ritual. Ich muss dem geneigten Leser aber gleich jede Hoffnung nehmen – das machte es in der Entwicklung nicht besser. Wäre dies unsere gemeinsame Erfahrung geblieben, hätte ich auf die übliche spätere Verklärtheit in Kindheitserinnerungen hoffen können. Aber mit dem fünften Geburtstag trat vor wenigen Tagen leider eine technische Errungenschaft in unser Leben. Kinder verfügen ja heute schon kurz nach dem Verlassen der Windeln über ungeahnte technische Fähigkeiten und mutieren zu kleinen Anakin Skywalkers, die mit drei Jahren Super Mario auf dem Gameboy bis zum Endgegner spielen oder gleich C3PO zusammen schrauben. So erhielt auch meine Kleine einen Rekorder, auf dem sie selbst Lieder aufnehmen und wieder abspielen konnte. Ich bemerkte nicht, wie ihre wieselflinken Finger beim nächsten geheimen Vorsingritual die Aufnahmetaste drückten. Auch meine bessere Hälfte ahnte nichts Böses, als die Kleine am kommenden Tag den Rekorder mit in den Kindergarten nehmen wollte – als ich schon hochseriös im Chefsessel meines Büros Platz genommen hatte. Ausgerechnet an diesem Tag habe ich das Abholen aus der Kita übernommen. Kennen Sie den mitleidvollen, gleichzeitig aber belustigten und verständnislosen Blick, den man all den Versagern der TV-Castingshows entgegen bringt? Unwissend bewegte ich mich durch genau diese Atmosphäre dreinblickenden Kitapersonals. Als ich eintrat, wurde sogar die Küchenfrau tuschelnd in den Flur gezogen, um einen Blick auf mich zu werfen. Ich war der Star des Tages – aber warum nur? Auf dem Rückweg erzählte mein Töchterchen stolz, wie sie dem ganzen Kindergarten meine Lieder vorgespielt hat, die sie am Vorabend heimlich aufgenommen hatte. Alle Lieder, mehrmals, in voller Lautstärke. Und irgendwann waren auch tatsächlich ALLE Frauen aus der Kita im Raum und hörten zu, so toll hätten sie das gefunden. Die Kleine strahlte und war stolz wie Bolle, auf ihren Papa. Na ja, zum Glück hat sie das nicht als MP3-File und kann es noch nicht auf facebook mit anderen tauschen. Uuups, bin ich mir da sicher? Ich glaube, ich muss schnell los und das überprüfen …
Ihr lausitzDADDY