Hü Hott Pferdchen

Datum: Freitag, 10. Juni 2011 10:45

„Papa, spielst du mit mir Pferdchen?“ – ich bin noch nicht einmal richtig von der Arbeit zu Hause angekommen, da schaut mich meine Kleine  fragend mit ihren rehbraunen Kullerknopfaugen an. Pferd spielen – oh nein, meine Knie. Wenn Papa als Pferd anrücken soll, ist das zwangsläufig mit der vollständigen Version verbunden, die als „kleiner Onkel“ auf Händen und Knien durch den Flur galoppiert und ein kräftiges Hüüja  hinausposaunt. Im Kinderzimmer angekommen beginne ich sofort meine Verhandlungstaktik. Schnell ein paar Schleich- pferdchen geschnappt und einen ach so schönen Stall aus Bausteinchen gebaut. Aber schon auf halbem Weg stellt sich mir meine Reiterin in den Weg und gibt mir  unmissverständlich zu erklären, dass ich das Pferd sein soll. Ich unternehme noch einen Versuch mit dem Pferde-Memory, bin mir meines  Scheiterns aber schon be usst. Sie weiß, das Papa sowieso nachgibt – und so begebe ich mich hörig auf alle Viere und gebe ein resigniertes „Hü“ von mir. Ich werde in meinen Stall gestellt und erst einmal gründlich gestriegelt, gefüttert und darf dann auch noch ordentlich äpfeln – zu meiner Entlastung: Das passiert natürlich nur in der Phantasie meiner Kleinen. Solange ich im Stall stehe, muss ich wenigstens nicht auf schmerzenden  Knien durch die Wohnung traben. Mit 40 Jahren ist man ein alter Gaul, kein Pferd wird so alt. Die wissen bestimmt auch, warum. Ich will im Stall  bleiben und beginne wieder mit meiner Taktik und äpfel ordentlich, einen nach dem anderen Apfel, immer größer. Vielleicht schaffe ich es damit bis zum Abendbrot und kann aus dem Stall dann direkt zurück ins reale Familienleben. Der Pädagoge in mir schaut kopfschüttelnd auf meine  verzweifelte und nicht sehr ästhetische Äpfeltaktik herab. Natürlich durchschaut mich meine Kleine gnadenlos. Sie holt die aus Halstüchern geknotete Leine aus dem Hängenetz. Verzweifelt schnaubt der alte Gaul und simuliert einen schmerzenden Huf, aber es hilft nichts. „Komm Pferdchen, wir reiten zur Koppel“, sagt die kleine Pferde- besitzerin und lässt keinen Widerspruch zu. Die Koppel liegt im Wohnzimmer, hinter dem endlos langen Flur. Brav steht Papa auf allen Vieren und mein Mädchen setzt sich auf den Rücken. Der Flur ist lang, die Knie schmerzen, die  Kleine ist glücklich. In solchen Momenten wünsche ich mir Knieschoner, verwerfe den Gedanken aber wieder, weil dann gar keine Ausrede mehr zum stundenlangen Pferdsein existiert. Nach gefühlten fünfzig Ritten zur Koppel überlege ich, ein richtiges Pony bei uns einziehen zu lassen. Am  Ende trabe ich aber wieder aufrecht, zwar mit schmerzenden Knien, aber lächelnd und erfüllt zum Abendbrot. Im Grunde meines Vaterseins bin ich doch ein glückliches Pferd und weiß, dass ich in diesen kleinen Ausritten das Glück meiner Welt auf meinem Rücken trage – und so auch noch  mit 50 Jahren durch die Wohnung galoppieren würde. Hü Hott!