Was ist Glück und wie bleibt es bei uns?

Datum: Donnerstag, 27. Oktober 2022 14:49

Ein Beitrag von Psychotherapeut Kai Vierbücher

In meiner praktischen Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Eltern höre ich immer wieder den gleichen Satz: „Ich möchte einfach nur glücklich sein, wie schaffe ich das?“ Ein Teil der Antwort ist bereits in der Frage enthalten, denn es ist im Grunde ganz „einfach“.

Während einer mehrwöchigen Hospitation in einer Kindertagesstätte erlebte ich die Herzlichkeit, die Offenheit und die unverblümte Ehrlichkeit kleiner Kinder und sie ließ mein Herz jeden Tag aus Neue zum Strahlen bringen und zeigte mir, wieviel wir von kleinen Kindern lernen können. Ich habe Kinder streiten sehen, aber das wirklich interessante war, dass der Streit nicht länger als wenige Minuten anhielt. Die Freude am Spielen ist Kindern wichtiger als jeder Streit. Kinder sind weniger nachtragend. Kleine Kinder kennen keinen Hass. Kinder sind nicht gern traurig, sie lachen lieber als dass sie weinen. Kindern ist es egal, ob ihr T-Shirt auf links gedreht ist beim Tragen. Sie haben auch kein Problem damit, beim Mittagsessen zu kleckern und dann den restlichen Nachmittag mit einem Fleck auf der Hose herumzurennen. Es war auch kein anderes Kind da, das permanent auf diesen Fleck geschaut hätte. Ich habe Jungs in Prinzessinenkleidern mit Puppen und Mädchen mit Autos spielen sehen. Ich habe Kinder gesehen, die körperliche Beeinträchtigungen hatten, und andere mit Entwicklungsstörungen, aber kein einziges Kind, was darüber gelästert hätte. Dieses Verhalten ist so wunderbar und wertschätzend, dennoch fällt es vielen Erwachsenen schwer, genau so zu fühlen und zu leben, denn ich kenne nur sehr wenige, die sich diese Toleranz und Freude am Leben erhalten haben.

Liegt es vielleicht daran, dass fast jeder Erwachsene in seiner Kindheit emotionale Verletzungen erlebt hat, die sein späteres Erwachsenenleben nachhaltig beeinflusst haben? Ob dies nun z.B. Bindungsangst durch die fehlende emotionale Bindung zu einer wichtigen Bezugsperson, Verlustangst durch eine Trennung der Eltern oder das Gefühl von „nicht gut genug zu sein“ durch einen permanenten Erfolgs- oder Leistungsdruck ist, ist egal.

Fakt ist, dass es Erwachsene sind, die diese kleinen Menschen aus ihrer heilen Welt reißen. Dieser unglaublichen Verantwortung sind sich die meisten Eltern gar nicht bewusst und sehr oft gestresst fokussieren sie sich auf unwichtigere Dinge. Dinge, die ihnen in dem Augenblick wichtig erscheinen mögen, die aber bei genauerer Betrachtung nur Füllstoff ihres Alltags sind.

Wenn man einem Kind etwas verspricht, z.B. nach dem Mittagessen mit ihm ein Buch zu lesen, und es danach nicht tut, weil man etwas anderes als wichtiger empfindet, dann verliert dieses Kind irgendwann den Glauben daran. Die Folge ist, dass auch dieses Kind später einmal ein „Versprechen“ nicht so ernst nehmen wird. Eltern erwarten oft, dass Pädagogen, Erzieher und Therapeuten das korrigieren, was sie selbst unbewusst verursacht haben. Die Tätigkeit der Lehrer:innen und Erzieher:innen wird total unterschätzt, denn sie ist mehr als nur die pädagogisch/ spielerische Ganztagsbetreuung von Kindern. Sie versuchen Tag für Tag mit sozialer Wärme und gleichzeitig bestimmender Freundlichkeit Werte und Ideale zu vermitteln.

Mir ist klar, dass die Betreuung von Kindern viel Empathie abverlangt und dass die Verantwortung im Umgang mit ihnen immens ist. Seelische Verletzungen werden den Kindern nicht durch Monster oder Ungeheuer zugefügt, sondern von den Menschen, die sie am meisten lieben. Und die dadurch entstehenden Schutzmauern verhindern Jahre später, dass das Glück zu ihnen durchdringen kann.

Den Eltern ist das natürlich nicht bewusst und sie tun dies, weil sie es nicht besser vermittelt bekamen. Wenn wir uns dessen bewusst werden und unseren Fokus verändern, verändern wir unser Leben und damit das Leben unserer Kinder.
Ein glückliches Leben ist nicht der Hauptgewinn in der Universumslotterie. Es ist das Geburtsrecht jedes Menschen. Es ist der Fokus auf all das schöne und lebenswerte. Es ist die Dankbarkeit und Zuversicht, das Vertrauen auf den Fluss unseres Lebens. Wir werden täglich mit negativen Informationen beschallt: Pandemie, Krieg, Energiekrise, Unfälle, Katastrophen, Krankheiten, finanzielle Sorgen. Und mit jeder dieser Informationen wird unser Unterbewusstsein angstvoll klein gehalten. Wenn wir es schaffen, dieser Manipulation zu entfliehen und unsere Gedanken und so den Fokus zu verändern, können wir Glück empfinden.

Harmonie, Ehrlichkeit, Authentizität, Zufriedenheit, Konflikte auszuhalten und diese wertschätzend lösen, Vertrauen in sich und andere zu haben sind nur ein paar Eigenschaften, die das Glück mag. Und nein, wir sind nicht perfekt, und das ist auch gut so. Wir alle haben positive und nicht so positive Charaktereigenschaften. Aber wir bestimmen, mit welchen wir überwiegend leben möchten.

Die Antwort auf die Frage „Was ist Glück und wie bleibt es bei uns?“ lautet: Es ist die positive Einstellung zum Leben, es angstfrei und fühlend zu betrachten, dankbar für die kleinen Dinge zu sein, die es uns schenkt. Es ist die Kraft und den Mut zu haben, empathisch die Fehler unserer Eltern zu erkennen und liebevoll zu verzeihen. Es ist die Magie, inneren Schmerz und Angst in Selbstliebe zu verwandeln. Kurzum: Glück ist es egal, wer oder was wir sind. Es bleibt so lange bei uns, wie wir ihm Raum in unserem Leben geben.

Ganz liebe Grüße
Kai Vierbücher

Psychotherapeutische Praxis für Kinder, Jugendliche & Eltern
HP f. Psych. Kai Vierbücher
Fontaneallee 22, 15732 Eichwalde
Parzellenweg 20c, 03055 Cottbus
Tel.: 0163 3535808
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