Eene meene Muh ...

Datum: Montag, 01. September 2014 15:28


Warum Mobbing alle Familien angeht.

Mobbing geht alle an
Ärgern, hänseln, frotzeln, anmotzen, veräppeln, aufziehen, veralbern, anpflaumen, anmeckern, schwach anreden, blöd anquatschen, dumm anmachen, abschieben … es gibt jede Menge Wörter für das, was Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene einem ungeliebten Gegenüber antun.  
Wurde viel davon früher als normale Auseinandersetzung abgetan, wird heute schnell von Mobbing gesprochen. Immer öfter begegnet uns das Thema in den Medien. Manche Berichte wollen uns glauben machen, dass fast jeder schon einmal Opfer oder Täter war. Mobbing und Gewalt sollen insbesondere in der Schule immer weiter zunehmen. Müssen wir Eltern uns Sorgen um unsere Kids machen? Doch was ist Mobbing eigentlich, wie erkennt man es, wen betrifft das, was tut man dagegen und wie geht man damit am besten um? Oder ist das doch alles nur ein Modethema, bei dem selbsternannte Experten übertreiben, um sich wichtig zu machen?
Ausgehend von einer Klärung, was Mobbing überhaupt ist, schauen wir insbesondere auf seine Ausprägungen in Kita und Schule und geben Eltern (hoffentlich) viele hilfreiche Tipps. Zudem haben wir ein hochinteressantes und ausführliches Interview mit Wolfgang Kindler geführt, der vielen aus der Sat.1-Serie „Schluss mit Mobbing“ bekannt ist und der auf nationalem und internationalem Gebiet als Mobbingexperte gilt.

Was ist Mobbing?
Es gibt keine einheitliche Definition für Mobbing – und viele verschiedene Expertenmeinungen. Die Übergänge sind wie in vielen Beziehungsprozessen fließend, sodass sich schwer sagen lässt, wann ein Konflikt genau zum Mobbing wird. Allgemein gilt jedoch folgendes:
Mobbing ist immer eine Form körperlicher oder seelischer Gewalt eines Täters oder einer Tätergruppe gegen meistens ein Opfer, die lange andauert und in der Regel machtbasiert ist. Das heißt, Täter üben bewusst Macht über Opfer aus und finden darin persönliche Bestätigung vor einer Gruppe und/oder für sich selbst. Die Formen können verbal (Beleidigungen), körperlich (hinschubsen, stoßen, verprügeln), nonverbal (ignorieren, ausschließen) oder organisatorisch (isolieren) sein.

Heinz Leymann (schwedischer Arzt und Psychologe) versuchte 1993 kurz und knapp zusammen zu fassen, was Mobbing ist: „Negative kommunikative Handlungen von einer oder mehreren Personen, die gegen eine oder mehrere Personen gerichtet sind und die sehr oft und über einen längeren Zeitraum hinaus vorkommen und damit die Beziehung zwischen Täter und Opfer bestimmen“.
Auf Wikipedia findet sich folgendes: „Im weiteren Sinn bedeutet Mobbing, andere Menschen ständig bzw. wiederholt und regelmäßig zu schikanieren, zu quälen und seelisch zu verletzen“. Damit wird im Vergleich zu den eingangs genannten Worten auch deutlich, wie sich Mobbing abgrenzt. Einzeltaten oder wenige Auseinandersetzungen – egal in welcher Ausprägung – haben mit Mobbing nichts zu tun. Von Mobbing spricht man erst bei einem dauerhaften Prozess. Aus diesem Grund hat es gerade in Kitas und Schulen auch immer mit einem Versagen der Pädagogen bei ihrer Aufsicht zu tun, was einen offenen Umgang mit diesem Thema für alle Beteiligten erschwert. Denn niemand lässt sich gern Versagen nachsagen.

„Nun hör schon auf ...“
Auch wenn es in diesem Bereich noch wenig thematisiert wird: Mobbing kann bereits in der Kita unter Kleinkindern geschehen. Rangeleien und Beleidigungen sind unter Kindern keine Seltenheit und müssen deshalb nicht überbewertet werden, wenn es Ausnahmen bleiben. Kinder reagieren in Konflikten in der Regel auch erschrocken, wenn sie ein anderes Kind verletzen oder zum Weinen bringen. Sie entschuldigen oder versöhnen sich, zumindest lernen sie daraus. Es gibt aber auch Kinder, die am Leid eines anderen Kindes Gefallen finden, die merken, dass sie plötzlich wer sind und Macht ausüben und unterdrücken können. Hier kommt es auf die Konsequenz der Erzieher an, die solche Auseinandersetzungen erkennen und unterbinden müssen. Werden mobbende Kinder aber als „Rabauken“ oder „schwierige Kinder“ abgetan und wird auf Konflikte immer wieder nur mit einem „Nun hör schön auf...“ beim mobbenden Kind und „Nun hab dich nicht so...“ beim gemobbten Kind reagiert, können sich Täter- und Opferrollen schon bei kleinen Kids schnell manifestieren.
Während bei Kita- und Grundschulkindern Mobbing eher immer direkt und weniger durchdacht passiert, gewinnt es mit der Pubertät eine neue Qualität. Das kann heute schon in der 6. Klassenstufe seinen Anfang nehmen. Oft spielen sexuelle Anspielungen, Herabwürdigungen oder Griffe in die Genitalteile eine Rolle, Mobbing wird ab diesem Alter aber auch immer subtiler. Es nimmt bewusstere Formen an, indem auch mehrere Kinder mit abgekarterten Aktionen körperlich oder verbal gegen ihr Opfer vorgehen. Der bewusste Ausschluss aus der Gruppe, die Verbreitung von Gerüchten und Getuschel hinterm Rücken gehören ebenso dazu. Später spielen auch Formen eine Rolle, in denen durch gezielte Falschinformationen sogar das Leitungspersonal, also die Lehrer, gegen die Mobbingopfer instrumentalisiert werden.


Warum werden Kids zu Mobbern?
Täter: Zuallererst: Mobbing-Täter kommen auch in den „besten Familien“ vor. Auch wenn es nicht die Regel ist, kann selbst das wohlerzogene Kind aus einem offenen und liebevollen Elternhaus zum Mobber werden. In der Regel haben Täter in ihrer Erziehung aber einen Mangel an liebevoller Wärme und an Anteilnahme am eigenen Leben erfahren. Machtbetonte Erziehungsmethoden sowie körperliche Gewalt durch die Eltern geben Kinder als Täter häufig an ihr Opfer weiter. Auch die Beobachtung von Gewalt zwischen den Eltern erhöht die Gewaltbereitschaft bei Kindern. Eine große Rolle spielt auch ein fehlendes Selbstwertgefühl. Hier kann neben häuslicher Gewalt auch ein hoher Leistungsdruck eine große Rolle spielen. Wenn Kinder nur bei besten Leistungen bzw. Zensuren geliebt werden und bei Fehlleistungen oder Niederlagen Ignoration, Demütigung oder sogar Scham der eigenen Eltern erfahren, kann dies ebenso zur Beeinträchtigung des Selbstwertgefühls führen. Eine Kompensation für diese Defizite finden Täter in der Macht über ein wehrloses Gegenüber. Da Mobbing dauerhaft passiert und das Opfer tatsächlich leidet, ist selbst bei Kindern, die zu Tätern werden, oft eine Gefühlskälte und mangelnde Empathie vorhanden. Auch das ist oft eine Folge der Erziehung im Elternhaus. Auch folgende Verhaltensweisen bzw. Gewohnheiten begünstigen ein Täterverhalten bei Kindern:
„übertolerantes“ Verhalten durch die Eltern
Fehlinterpretationen von eindeutig gewalttätigem Verhalten (z.B. „Jungs müssen auch mal austeilen dürfen“).
Aggressive Vorbilder, wenn sie positiv bewertet werden. Dies kann als „soziale Ansteckung“ zum passiven Gewalttäter bzw. Mitläufer führen.
Gewalttätige Medien bewirken erwiesenermaßen vermindertes Mitleid mit dem Opfer, sind als Auslöser jedoch nicht eindeutig zu benennen.

Opfer: Zum Mobbingopfer kann grundsätzlich jedes Kind werden. Ob ein Kind beispielsweise Markenklamotten trägt oder nicht, dick oder dünn ist, eine Brille oder eine Zahnspange trägt, oder besonders kurze oder lange Haare hat – all das spielt als Auslöser für Mobbing kaum eine Rolle. Da Mobbing immer machtbasiert und dauerhaft passiert, trifft es sicher eher zurückhaltende und unsichere Kinder, die sich verbal oder körperlich weniger zur Wehr setzen können. Auch Kinder mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen werden bevorzugt als Opfer ausgewählt. Im Schulalter, insbesondere ab der Pubertät, können aber auch beliebte Kinder mit starker Persönlichkeit zum Opfer werden. Hier spielt immer das soziale Umfeld eine große Rolle, darauf gehen wir noch ein. Bei einem Opfer kann anfänglich noch eine Gegenwehr stattfinden, im Verlaufe des Mobbings findet es sich aber immer stärker in die Opferrolle ein und ist selbst in der Regel nicht in der Lage, einen Ausweg aus der Situation zu finden.