Du bist dran!

Datum: Dienstag, 29. November 2016 09:10


Spielen ist das schönste Hobby

Stefanie Marckwardt ist Jurymitglied für das „Kinderspiel des Jahres“. Dafür testet sie Gesellschaftsspiele nicht nur mit ihren zwei Söhnen, sondern auch mit Kitakindern und Schülern. Denn hauptberuflich ist die leidenschaftliche Spielerin aus Berlin Grundschullehrerin und baut Gesellschaftsspiele sogar in ihren Unterricht ein. Wie sie das macht, warum PC-Spiele klassische Brettspiele nicht verdrängen werden und wonach das Kinderspiel des Jahres ausgewählt wird, verrät sie im Interview.

Die Terminkalender von Eltern aber auch von Kindern sind oft gut gefüllt - warum sollten sich Familien dennoch regelmäßig Zeit für einen Spieleabend nehmen?

Spielen ist in meinen Augen die schönste und abwechslungsreichste Freizeitbeschäftigung überhaupt. Es fördert das Miteinander und die Kommunikation. Kinder lernen ganz nebenbei unglaublich viel, ohne dass sie es überhaupt merken: Sie setzen Phantasie und Kreativität ein, sie trainieren ihr Gedächtnis, sie erwerben neues Wissen. Sie müssen nachdenken, kombinieren, entscheiden, sich konzentrieren. Auf emotionaler Ebene lernen sie Regeln zu akzeptieren, sich in eine Gemeinschaft einzufügen, zu verlieren. Auf motorischer Ebene werden Hand-Augen-Koordination, Reaktionsgeschwindigkeit und Geschicklichkeit trainiert. Sie erweitern ihre mathematischen Fähigkeiten. Und das alles passiert spielerisch nebenbei. Aber das eigentlich Entscheidende: dass Familien Zeit miteinander verbringen, wenn sie gemeinsam um das Spielebrett sitzen.

Sollten Familien außer Klassikern wie „Mensch ärgere dich nicht“ oder Monopoly noch andere Spiele im Haus haben?

Unbedingt! Solche Klassiker haben sicher ihre Berechtigung und werden noch immer gern gespielt. Aber davon abgesehen sind diese Spiele nicht mehr zeitgemäß. Sie sind sehr glücks-lastig und kaum beeinflussbar. Der Spielverlauf hängt in erster Linie vom Würfelglück ab. Neuere, moderne Spiele, vor allem kooperative und Strategiespiele, bieten viel mehr Möglichkeiten. Dort muss man Entscheidungen treffen, gemeinsam als Gruppe planen, geschickte Spielzüge auswählen. Moderne Spiele erzählen fast immer auch eine Geschichte, man arbeitet gemeinsam auf ein Ziel hin. Sie haben anders als ein abstraktes Würfelspiel wie „Mensch ärgere dich nicht“ ein Thema und regen die Fantasie an.

Was macht ein gutes Kinder- bzw. Familienspiel aus?

Das steht und fällt vor allem mit der Spielidee, die sollte originell sein und lange Spaß machen. Wichtig ist auch, dass es nicht nur den Kindern Spaß macht, sondern auch älteren Geschwistern und den Eltern. Klare, verständliche Regeln, stabiles Material und ansprechende Grafiken sind gerade für Kinderspiele ebenfalls wichtig.

Welche Kriterien spielen bei der Bewertung zum Spiel des Jahres eine Rolle?

Wir beurteilen die Spiele nach vier festen Kriterien: Erstens Spielidee und Originalität. Das Spiel muss spielbar sein und einen Mehrwert haben. Eine 20. Variante eines erfolgreichen Spiels oder ein neues Memory mit Figuren eines aktuellen Kinohits hätten also keine Chance. Zweites Kriterium ist die Regelgestaltung. Dann sind noch Design und Layout sowie Funktionalität und Verarbeitung wichtig. Wir schauen z.B.: Lässt sich das Spiel wieder gut in der Verpackung verstauen? Sind die Elemente stabil, oder wackelt da was? Lösen sich Splitter von den Holzfiguren?

Was ist Ihnen persönlich beim Testen der Spiele wichtig?

Ich finde es sehr wichtig, dass ein Spiel klare, eingängige Regeln hat, die durchaus komplex sein können, aber schnell zu begreifen sein sollten und in sich stimmig sein müssen. Wenn ich während des Spiels immer wieder in der Anleitung nachlesen muss, was die Regel besagt, geht die Freude am Spiel verloren.

Wie lassen sich Kinder am besten für Brett- und Gesellschaftsspiele begeistern?

Aus meiner Erfahrung ist das nicht schwer. Selbst Kinder, die sonst gar nicht oder nur wenig spielen, lassen sich mit spannenden Verpackungen und Themen neugierig machen. Ritter, Monster,  Dinosaurier oder Feen auf dem Cover kommen eigentlich immer gut an.

Wie geht man mit kleinen „schlechten Verlierern“ um – haben Sie Tipps?

Das wichtigste ist es, den Sieg nicht in den Vordergrund zu stellen. Allen sollte von Beginn an klar sein: Wir spielen nicht, damit einer gewinnt, sondern weil wir zusammen Spaß haben wollen. Kooperative Spiele, bei denen man gemeinsam gewinnt oder verliert, sind hilfreich. Wenn man gemeinsam verliert, ist das leichter zu ertragen.

Gibt es bei Gesellschaftsspielen auch einen Trend zum Digitalen? Könnten Bildschirm-Spiele die klassischen Brettspiele verdrängen?

Derzeit beobachten wir eher das Gegenteil. In den schnelllebigen Zeiten nehmen sich die Leute ganz bewusst die Zeit für ein Brettspiel. Das Interesse an Gesellschaftsspielen wird von Jahr zu Jahr größer. Die Spielmesse kürzlich in Essen hat erneut einen Besucherrekord aufgestellt. Ich glaube auch nicht, dass digitale Varianten das klassische Brettspiel verdrängen können, denn ihnen fehlt das menschliche Miteinander, das Kommunikative, das Emotionale. Beim Spielen will ich mit Freunden reden und lachen, nicht auf einen Bildschirm starren. Allerdings lässt sich beobachten, dass immer mehr Gesellschaftsspiele mit elektronischen Elementen versehen sind und diese auch sehr gern gekauft werden.

Woran erkenne ich als Kunde im Laden ein gutes Kinderspiel?

Die jährlich von uns vergebene Auszeichnung  „Kinderspiel des Jahres“ ist natürlich eine gute Orientierung. Das Logo wird oft von den Herstellern auf die Kartons gedruckt. Auf unserer Homepage stellen wir nicht nur das Kinderspiel des Jahres vor, sondern auch die Nominierten und die Empfehlungen, das sind insgesamt zehn empfehlenswerte Spiele pro Jahrgang. Zudem kann man sich auf weiteren online-Portalen mit Spiel-Rezensionen vorab informieren. Ich würde beim Kauf immer zum Gang ins Fachgeschäft raten. Dort kann man sich fachkundig beraten lassen, das Spiel auch mal aufmachen, ansehen und anfassen, die Anleitung durchsehen. Der reine Blick aufs Cover kann täuschen, darauf würde ich mich nicht verlassen, wenn ich ein gutes Kinderspiel suche.

Aus Ihrer Erfahrung: Wie bindend sind die Altersangaben auf Kinderspielen?

Das ist ganz unterschiedlich, manchmal passt die Angabe ganz gut, manchmal ist das Einstiegsalter zu hoch oder auch zu niedrig angesetzt. Es hängt natürlich von Kind und seiner Spielerfahrung ab, ob es für ein bestimmtes Spiel schon bereit ist. Brettspiele für Kinder unter drei Jahren sind weniger Regelspiele, sondern bieten den Kindern oft Spielanlässe mit bunten Bildern und  schönen Spielfiguren an; sie enthalten häufig verschiedene Spielvarianten, die nach  und nach mehr Regeln beinhalten und so mit dem Kind "mitwachsen" können.

Jetzt in der kalten Jahreszeit finden Familien wieder mehr Zeit zum Spielen. Warum vergeben Sie die Auszeichnungen zum Spiel des Jahres erst im Sommer?

Die meisten neuen Spiele erscheinen im Herbst. Bis wir als Jury uns einen Überblick verschafft, die Spiele getestet, bewertet und diskutiert haben, dauert es seine Zeit, so dass wir dann im Sommer darauf auszeichnen können. Aber in der Tat ist es so, dass die meisten Spiele in der kalten Jahreszeit verkauft und gespielt werden.

Es kommen jährlich zahlreiche neue Spiele auf den Markt, sind die Ideen nicht irgendwann erschöpft?

Unter den 1200 Neuerscheinungen in diesem Jahr sind natürlich auch unzählige Varianten bekannter Spiele. Aber es kommen jedes Jahr auch völlig neue originelle Spielideen auf den Markt. Warum sollten die Ideen auch irgendwann erschöpft sein? Es käme ja auch nie jemand auf den Gedanken, dass es mangels Ideen keine neuen Bücher oder Filme mehr geben könnte.

Gute Kinderspiele sind mit durchschnittlich 20 Euro nicht gerade billig – haben Sie einen Tipp für Familien, die sich nicht regelmäßig neue Spiele leisten können oder wollen?

Wenn ich mir anschaue, was ein Besuch mit der ganzen Familie im Kino kostet, der nach zwei Stunden vorbei ist, finde ich Brettspiele recht preiswert. Wer aber das Geld nicht investieren kann, der hat viele Möglichkeiten: Auf Flohmärkten bekommt man oft günstig gebrauchte Spiele. Einige Städte bieten Spielecafés, Spielegruppen oder Ludotheken, in denen man sich Spiele ausleihen kann. Auch einige Bibliotheken haben Spiele im Sortiment.

Wie sind Sie selbst zum Spielen gekommen?

Meine Eltern haben von klein auf mit uns gespielt, ich bin im Grunde mit dem „Spiel des Jahres“ groß geworden, da es unser jährlicher Pflichtkauf war. Dem Spielen bin ich bis heute treu geblieben. Wir haben mehr als 1600 Spiele zu Hause. Ich spiele mit meiner Familie, mit Freunden, sogar in der Grundschule, in der ich als Lehrerin arbeite.

Da passt die ehrenamtliche Tätigkeit als Jurorin für das Kinderspiel des Jahres ja perfekt zu Ihrer Leidenschaft…

Ja, ich bin zufällig über Bekannte dazu gekommen und mache das unheimlich gern. Über die Verlage bekomme ich die Neuerscheinungen unter den Kinderspielen zugeschickt und teste diese anschließend mit möglichst vielen Kindern, natürlich meinen eigenen, aber auch mit deren Freunden und mit meinen Schülern.

Wie kann ich mir das vorstellen?

Zum einen baue ich immer wieder ausgewählte Spiele oder Spielideen in den Unterricht ein: eine Tabu-Variante für Biologie oder Mathe-Bingo, um nur zwei Beispiele zu nennen. Zum anderen habe ich eine Spiele-AG für Zweitklässler etabliert. Dort treffen wir uns ein Mal die Woche für eine Stunde und probieren die neuesten Spiele aus. Die Reaktionen und Bewertungen der Kinder fließen dann natürlich in meine Arbeit als Jurorin ein.

Verraten Sie uns zum Schluss Ihr persönliches Lieblings-Kinderspiel?

Sich bei der großen Menge an guten Spielen auf einen Favoriten festzulegen, ist schwer. Man kann die Spiele auch nur bedingt miteinander vergleichen, jedes ist auf seine Art besonders. Wenn ich mich dennoch festlegen soll: Als meine Kinder noch kleiner waren, haben wir „Linus der Magier“ geliebt, heute würden die Jungs vermutlich „Schnappt Hubi“ als ihr Lieblingsspiel bezeichnen.

Vielen Dank für das Interview.