Von Bienen und Blumen

Datum: Freitag, 31. März 2017 15:39


Der Streit ums Handy ist ein Dauerbrenner in Familien

Interview mit Maria Große Perdekamp, Diplom-Heilpädagogin, Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin. Seit 2014 leitet sie die Online-Beratungsstelle der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung e.V. bke. Im Gespräch erklärt sie, wie sich ihre Arbeit in den letzten Jahren durch Internet und Handy verändert hat und gibt Eltern Tipps für heikle Themen.

Sie sind seit vielen Jahren in der Erziehungsberatung tätig. Haben sich die Themen in den letzten Jahren geändert?

Es gibt weiterhin die „Dauerbrenner“, also Themen, die immer wieder nachgefragt werden: Einschulung, Loslösung in der Kita, Pubertät, Scheidung. Letzteres war lange ein Thema alleinerziehender Mütter. Heute bringen sich die Väter mehr in die Erziehung ein. Das ist einerseits sehr schön, führt aber auch zu mehr Konflikten zwischen den Elternteilen. Was neu ist, sind Themen, die sich um Mediennutzung drehen. Der Streit um die Handynutzung spielte vor zehn Jahren noch keine Rolle, heute ist er Dauerbrenner. Auch PC-Spiele oder Datensicherheit sind heute bei Erziehungsfragen präsenter, das liegt ein Stück weit auch an der fehlenden Erfahrung und Sicherheit der Eltern im Umgang mit Internet und Smartphone. Das ist in ein oder zwei Generationen vielleicht gar kein Thema mehr. Neu seit ein paar Jahren ist auch die Angst vor Terror.

Wann wenden sich Eltern an Sie?

Unser Beratungsangebot wird vor allem bei schambesetzten Themen genutzt wie Sucht, Alkohol, Sexualität. Themen, die man vielleicht nicht mal mit der besten Freundin besprechen will. Da ist unser großer Vorteil die Anonymität, die Vertraulichkeit. Ansonsten wenden sich vor allem medienaffine Eltern und jene Eltern an uns, die wenig Zeit haben und unser Angebot abends, wenn die Kinder schlafen, oder am Wochenende nutzen. Das sind vor allem Berufstätige und Alleinerziehende. Generell decken wir ein sehr breites Themenspektrum ab, präventive Themen ebenso wie akute oder komplexe Probleme.

In Ihrer Arbeit haben Sie täglich mit den Anliegen und Sorgen von Eltern zu tun. Gibt es noch Fragen, wo Sie erst mal überlegen müssen, welche Lösung hier die passende ist?

Wir haben uns schon zu sehr vielen Themen Gedanken gemacht und entsprechende Anfragen beantwortet. Dadurch haben wir immer ein paar best-practice-Beispiele parat. Trotzdem betrachten wir jede Frage, die uns erreicht, ganz genau: Wie ist der kulturelle oder familiäre Hintergrund? Jede Familie ist anders und verdient eine individuelle Antwort. Eine Mutter wollte mal wissen, ob wir ihre Frage mit fertigen Satzbausteinen beantworten. Da musste ich schmunzeln. Wir arbeiten natürlich nicht mit vorgefertigten Antworten. Insofern können wir auch viel individueller und konkreter helfen, als ein Erziehungsratgeber aus dem Bücherregal. Wir machen keine 08/15-Beratung. Wir bieten auch keine fertige Lösung an, sondern geben nur Vorschläge und Ratschläge. Wir sind keine Besserwisser, wir bestimmen nicht, wie es für die Familie weitergeht, wir geben mit unseren Experten das nötige know-how weiter.

Gibt es Fälle, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind?

In Erinnerung bleiben vor allem jene Fälle, in denen – im Kontext der Anonymität – viel Vertrauen entsteht, vor allem bei heiklen, komplexen Themen. Da gibt es einen intensiven Austausch, der für Betroffene und auch uns Berater oft einzigartig erlebt wird.

Sind Kinder heute generell aufgeklärter als vor 10 oder 20 Jahren?

Ich denke ja. Das liegt zum einen daran, dass Informationen durch das Internet heute viel leichter verfügbar sind. Zum anderen hat sich die Präventionsarbeit verstärkt, sie beginnt bei bestimmten Themen schon im Kindergarten. Es gibt heute auch mehr Beratungsangebote und Erziehungskurse für Eltern.

Wann sollten Eltern generell mit einem „heiklen“ Thema anfangen?

Generell bieten sich Anlässe an. Den Tod kann man thematisieren, wenn z.B. das Haustier gestorben ist. Manchmal bringen die Kinder auch Fragen aus der Kita mit oder ein Thema wird in einer Fernsehsendung angesprochen. Ansonsten hängt das ein Stück weit von der Eltern-Kind-Beziehung ab. Eltern, die einen guten Kontakt zu ihren Kindern haben und auch ein gutes Gefühl dafür haben, können gut einschätzen: Was kann ich meinem Kind zumuten? Wie kann ich ihm was angemessen erklären? Eltern, die gerade keinen so guten Draht zu ihren Kindern haben, sei es durch eine Trennung oder schwierige Pubertät, tun sich im Umgang mit solchen Themen schwerer. Und es kommt natürlich auch auf den Eltern-Typ: Es gibt Eltern, die sind eher vorsichtig und fürsorglich, wollen ihr Kind schützen und andere, die trauen ihren Kindern mehr zu. Ich würde immer auch individuell schauen, was habe ich für ein Kind: ein sensibles oder ein sehr selbstbewusstes?

Wie reagieren Eltern, wenn sie schwierige Fragen der Kinder unvorbereitet treffen?

In solchen Fällen können sie um Bedenkzeit bitten oder das Kind zurückfragen: Was denkst du denn, wie das ist? Ganz wichtig ist, dass Eltern auf Fragen überhaupt antworten und nicht ausweichen. Gerade bei kleinen Kindern muss man bei heiklen Themen auch gar nicht so sehr ins Detail gehen. Ein sehr gutes Hilfsmittel gerade im Kita- und Vorschulalter sind Bilderbücher. Das gibt es eine große Auswahl zu den verschiedensten Themen.

Gerade beim Thema sexuelle Aufklärung tun sich Eltern schwer – haben Sie dafür Tipps?

Die eigentliche Aufklärung passiert nur noch selten durch die Eltern, das übernimmt eher die Schule oder auch Gleichaltrige. Dennoch sollten ein so wichtiges Thema in der Erziehung stets präsent sein und nicht erst, wenn es um die erste Liebe geht. Das muss bereits ab der Kita-Zeit passieren. Das beginnt schon im Umgang mit dem eigenen Körper, die Benennung der Geschlechtsteile gehört dazu. Ganz grundlegend ist, die sexuelle Selbstbestimmung des Kindes von Anfang an zu respektieren und zu fördern. Eltern sollten die Grenzen der Kinder akzeptieren: Wenn sie die Oma zur Begrüßung nicht küssen wollen, dann müssen sie das auch nicht. Da dürfen Kinder sich abgrenzen und müssen sich keinen Normen unterwerfen. Auch die Schamgrenzen sollten von den Eltern akzeptiert werden: Wenn ein Kind beim Gang auf die Toilette oder beim Waschen unbeobachtet sein will, dann darf es das natürlich. Diese Gefühle muss man auch als Eltern aufmerksam wahrnehmen.

Noch ein Thema, das vielen Eltern unter den Nägeln brennt: Wie führen sie ihre Kinder an einem „vernünftigen“ Medienkonsum heran?

Viele Eltern und Kinder wissen heute, dass gerade intime Themen in den social-media-Kanälen nichts verloren haben. Generell ist wichtig, dass Eltern ihren Kindern den Umgang mit Medien und insbesondere mit dem Internet dem jeweiligen Alter angemessen vermitteln, ihnen Anleitung und Orientierung geben. Im Kindergartenalter sollten TV und Internet gar keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielen. In diesem Alter brauchen Kinder senso-motorische Erfahrungen. Sie müssen Dinge erfühlen und be-greifen. Für die Nutzung des Internets braucht es ein gewisses kognitives Verständnis, auch um die Risiken von social-media wie Mobbing erfassen zu können. Das bildet sich erst im Laufe der Grundschule aus. Frühestens gegen Ende der Grundschulzeit sollte Kindern die eigenständige Internetnutzung ermöglicht werden, weiter begleitet von den Eltern.

Ist das in der heutigen digital geprägten Welt nicht recht spät?

Ich sehe diese vermeintliche Frühförderung kritisch. Viele Eltern glauben, wenn sie ihre Kinder frühzeitig an Medien heranführen, können sie später besser damit umgehen. Aber das stimmt nicht. Kinder lernen über Beziehungen, nicht über Geräte. Es braucht erst eine gewisse kognitive Entwicklung. Wir setzen ja eine Zweijährige auch nicht hinters Steuer, nur damit sie eine gute Autofahrerin wird oder lassen einen Achtjährigen binomische Formeln lernen. In der Entwicklungspsychologie spricht man von Zeitfenstern. Erst wenn diese sich geöffnet haben, macht es Sinn, eine bestimmte Sache zu erlernen. Eltern sollten auch die wirtschaftlichen Interessen der Computerindustrie nicht unterschätzen. PC-Spiele beispielsweise kann man im Grundschulalter zwar anbieten. Sie schaden sicher nicht, aber es ist auch nicht nachgewiesen, dass sie dem Kind nutzen.

Die Online-Beratung der bke gibt es für Eltern und Jugendliche. Sie erfolgt kostenlos und anonym:

www.bke-beratung.de