Werden wie Mama!

Datum: Mittwoch, 31. Mai 2017 13:41

Frauen sollten ihre Wünsche klar kommunizieren

Interview mit Wencke Neubert, Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt bei der Agentur für Arbeit Cottbus. Als Fachfrau für das Thema Vereinbarkeit und als Mutter von zwei Kindern weiß sie, wo die Herausforderungen für Frauen und Männer liegen.


Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist seit Jahren immer wieder Thema in den Medien, auch in den Unternehmen selbst – warum ist sie in der Praxis immer noch so schwer umzusetzen?

Ich denke, wir sind auf einem guten Weg. In den letzten Jahren hat sich viel getan, begünstigt auch durch die Gesetzgebung. Das Elterngeld und das Elterngeld Plus beispielsweise schaffen Anreize, dass auch immer mehr Väter eine Auszeit für die Familie nehmen und dass Eltern schon während der Elternzeit Teilzeit arbeiten. Trotzdem sind gesellschaftliche Veränderungen notwendig. Es braucht eine stärkere Akzeptanz, dass auch Väter für die Familie kürzer treten wollen und entsprechende Möglichkeiten haben. Dennoch habe ich den Eindruck, dass der Vereinbarkeit in den Unternehmen eine hohe Bedeutung zukommt. Es gibt viele gute Beispiele, die noch bekannter werden müssen. In den Unternehmen muss Familienfreundlichkeit gelebt werden und es muss Teil der Unternehmenskultur werden. Wenn der Chef mal früher nach Hause geht, um Zeit mit seinen Kindern zu verbringen, dann traut sich das der junge Vater auch.

Ist Vereinbarkeit nur ein Problem der Mütter oder auch der Väter?

Vereinbarkeit betrifft natürlich auch Väter, auch wenn in den Medien meistens die Mütter kleiner Kinder im Fokus stehen. 60 % der Eltern mit Kindern unter 3 Jahren wünschen sich eine partnerschaftliche Aufteilung von Arbeit, Kinderbetreuung und Haushalt. Nur 14% können dies so umsetzen. Vereinbarkeit geht aber alle an: Pflegende Angehörige ebenso wie kinderlose Arbeitnehmer, die weniger arbeiten oder ein Sabbat-Jahr in Anspruch nehmen wollen, um Zeit für ein Hobby oder eine Ehrenamt zu haben. Immer mehr Menschen ist die sogenannte „work-life-balance“ wichtig.

Stimmen die Rahmenbedingungen für Vereinbarkeit in der Lausitz?

Für uns als Arbeitsagentur sind die Rahmenbedingungen ganz entscheidend, damit wir in Ausbildung und Arbeit vermitteln können. Wir brauchen ausreichend Kita- und Hortplätze, und das auch in den Randzeiten nach 16.30 Uhr. Auch für ehemalige Lausitzer, die wieder zurückkommen wollen und Familien, die neu in unsere Region ziehen, ist das ein Entscheidungskriterium. Sie fragen ganz gezielt nach Betreuungsmöglichkeiten. Da haben wir in der Region sicherlich noch Luft nach oben.

Aus Ihrer Erfahrung heraus: Wie sind Lausitzer Unternehmen beim Thema Familienfreundlichkeit aufgestellt – sind sie eher Vorreiter oder haben sie Nachholbedarf? Gibt es Unterschiede zwischen kleinen Betrieben und Großunternehmen?

In Cottbus gibt es das lokale Bündnis für Familien, hinter dem ein großes Netzwerk steht. Es zeichnet regelmäßig familienfreundliche Unternehmen in der Stadt aus. Darunter sind große Unternehmen ebenso wie kleine und sie alle sind ausgesprochen engagiert und leisten Vorbildliches für die Vereinbarkeit. Oftmals lassen sich in kleinen Unternehmen individuelle Vereinbarungen zur Arbeitszeit schneller umsetzen, da der Chef die familiäre Situation seiner Mitarbeiterinnen kennt. Es sind nicht die teuren großen Angebote, die erwartet werden, sondern das Paket muss passen und die Mitarbeiter müssen sich ernst genommen und wertgeschätzt fühlen.

Warum sollten Unternehmen überhaupt auf Familienfreundlichkeit setzen – profitieren sie selbst davon?

Familienfreundlichkeit ist ein Standortfaktor und ein Wettbewerbsvorteil. Im Wettbewerb um gute Fachkräfte sollte sich jedes Unternehmen Gedanken dazu machen. Unternehmen, die auf diesem Gebiet sehr aktiv sind, haben nachweislich mehr Bewerbungen auf freie Stellen. Familienfreundlichkeit rechnet sich auch betriebswirtschaftlich. Die erforderlichen Investitionen werden durch weniger Fehltage, geringere Fluktuation und mehr Produktivität mehr als ausgeglichen. Die Mitarbeiter sind motivierter und engagierter.

Was empfehlen Sie Müttern, damit ihnen der Wiedereinstieg nach der Babypause wieder gelingt?

Ein Kind zu bekommen, ist etwas wirklich Schönes. Daher empfehle ich den Eltern zuerst: Genießen Sie diese Zeit. Optimal ist es, wenn sich Eltern schon vor ihrem Ausstieg Gedanken machen über den Einstieg und das auch gegenüber ihrem Arbeitgeber klar ansprechen. Während der Elternzeit ist es wichtig, Kontakt zum Unternehmen zu halten, sich über Neuigkeiten zu informieren, vielleicht an der Weihnachtsfeier teilzunehmen. Rückt dann der Wiedereinstieg in die Nähe, ist eine Standortanalyse wichtig: Was will ich, was kann ich, wie ist die Kinderbetreuung abgesichert, wer kann mich unterstützen? Ist ein Wiedereinstieg im Unternehmen nicht möglich, können sich Mütter an uns wenden, schon während der Elternzeit. Wir beraten – auch unverbindlich – über Alternativen und Qualifizierungen. Für manche ist eine berufliche Neuorientierung eine Option.

Viele Mütter mit kleinen Kindern arbeiten Teilzeit – sehen Sie das eher als Chance für die Vereinbarkeit oder laufen Frauen dadurch Gefahr, beruflich auf dem Abstellgleis zu landen, Stichwort Teilzeitfalle?

Oft entscheiden sich Mütter ja ganz bewusst für Teilzeit-Arbeit. Wichtig ist, dass sie die Chance haben ihre Arbeitszeit wieder zu erhöhen, wenn die Kinder älter werden. Denn die Teilzeittätigkeit geht mit einem geringeren Verdienst einher und birgt ein Armutsrisiko im Alter. Daher empfehle ich eine vollzeitnahe Teilzeit ab 32 Stunden. Wir sprechen gezielt Unternehmen aber auch Frauen an, mit dem Ziel Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung umzuwandeln. Manchmal sind die Frauen einfach zu ängstlich oder zu schüchtern, um nach einer Aufstockung der Arbeitszeit und der Umwandlung in eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit zu fragen und ihre Rechte durchzusetzen. Sie sollten ihrem Arbeitgeber gegenüber aber klar äußern, was sie für Vorstellungen haben. Wenn sie tatsächlich nicht aus der Teilzeit-Falle herauskommen, bleibt als letzte Möglichkeit ein Arbeitgeber-Wechsel.

Warum ist der Anteil von Frauen in Führungspositionen zwar zunehmend, aber noch immer vergleichsweise niedrig?

Mit Blick auf den Fachkräftemangel, werden es sich viele Unternehmen gar nicht mehr lange leisten können, auf die Kompetenzen von Frauen zu verzichten. Sie sollten ein Interesse daran haben, qualifizierte Frauen zu halten. Meine Erfahrung ist: Frauen kommen eher aus der Elternzeit zurück, wenn sie ein passendes Angebot finden. Durch Teilzeit- und Telearbeit gibt es viele Möglichkeiten. Wenn beide Seiten dafür offen sind, funktioniert es auch. Hier braucht es ein Umdenken auf Führungsebenen: Eine Führungskraft muss nicht zwingend 60 Stunden anwesend sein. Mein Eindruck ist, dass die jüngere Generation offener ist für Familienfreundlichkeit. Viele Chefs der älteren Generation sind so aufgewachsen, dass nur die Frau sich zu Hause um die Kinder gekümmert hat und denen fehlt manchmal ein Stück weit das Verständnis für die Situation junger Familien.

Welche Unterstützungsangebote haben Sie als Agentur für Arbeit für Arbeitgeber und welche für Arbeitnehmer?

Ich arbeite eng mit unserem Arbeitgeber-Service zusammen. Wir beraten zu Möglichkeiten, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Unternehmen zu verbessern. Wir bieten Veranstaltungen zu dem Thema an. Aber auch Arbeitnehmer lassen sich individuell von uns beraten. Oft genug liegt die Hürde nur darin, dass familienfreundliche Angebote des Unternehmens nicht bekannt sind und zu wenig kommuniziert werden. Unser Hauptanliegen ist es daher, für das Thema Vereinbarkeit zu sensibilisieren und zu informieren.

Wie können Unternehmen ihre Mitarbeiter bei der Vereinbarkeit unterstützen?

Das wichtigste: Vereinbarkeit sollte nicht nur auf dem Papier stehen, sondern auch gelebt werden. Und da gibt es unendlich viele Möglichkeiten. Erstens sind das flexible Arbeitszeit- und Arbeitsort-Modelle: Teilzeit, Telearbeit, Gleitzeit, Arbeitszeitkonten, Jobsharing. Noch wenig bekannt ist die Möglichkeit, einer Berufsausbildung in Teilzeit, die vor allem für junge Mütter eine Chance ist und Ausbildungsabbrüche verhindern kann. Zweitens kann das Unternehmen Eltern bei der Kinderbetreuung unterstützen: Betriebskita, betriebliche Tagesmütter, Belegplätze in einer nahe gelegenen Kita, Ferien- und Notfallbetreuung. Drittens gibt es finanzielle Möglichkeiten: Übernahme der Kitagebühren, Gutscheine, Geschenke zur Geburt, Windelsponsoring, Lohnfortzahlung ohne Inanspruchnahme der Krankenkasse, wenn das Kind krank ist. Auch Serviceleistungen können Mitarbeitern eine wichtige Zeitersparnis bringen: Wäsche-und Bügelservice, Vermittlung von haushaltsnahen Dienstleistungen, Kantinenessen auch für Angehörige. Entscheidend ist: Es geht nicht darum, alle diese Angebote parat zu haben, sondern für jeden Mitarbeiter eine individuelle Lösung zu finden, die zu ihm passt. Der Mitarbeiter muss sich ernst genommen und wertgeschätzt fühlen.

Sie haben selbst zwei Kinder – was bietet die Agentur für Arbeit ihren Mitarbeitern für Unterstützungsmöglichkeiten bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf?

Da haben wir als großer Arbeitgeber viele Möglichkeiten, hier nur eine Auswahl: Neben der Teilzeit-Berufsausbildung bieten wir in vielen Bereich Gleitzeit und Teilzeit an. Wir haben einen Kinderbetreuungsservice für Dienstreisen, Seminare oder Notfälle, wenn z.B. die Kita streikt. Wir zahlen einen finanziellen Zuschuss für Ferienlager. Mit einem Drei-Phasen-Modell bereiten wir Eltern schon während der Elternzeit systematisch auf einen Wiedereinstieg vor. Auch aufgrund dieser Angebote, gelingt mir der Spagat zwischen Kindern und Beruf ganz gut. Zusätzlich binde ich meinen Mann mit ein und kann auf ein großes privates Netzwerk setzen.