Sprechzimmer statt Klassenzimmer

Datum: Donnerstag, 29. März 2018 15:33


Familien erzählen: Rheuma, die unsichtbare Krankheit

Vor gut acht Jahren bekam Neo die Diagnose Rheuma. Heute geht der Neunjährige recht entspannt mit seiner Krankheit um und verdrängt sie, solange es geht: „Manchmal stört mich das Rheuma, z.B. neulich beim Diktatschreiben, als ich nicht so schnell schreiben konnte, und manchmal nicht.“

„Ich kann mich noch genau an den Tag erinnern, als wir erfahren haben, dass Neo Rheuma hat. Es war der 14. Dezember 2009, ich hatte meinen damals anderthalbjährigen Sohn aus dem Bett gehoben, damit er zum Adventskalender laufen kann. Aber das tat er nicht, er weinte und krümmte sich vor Schmerzen. Wir sind dann mit ihm in die Klinik und bekamen die Diagnose Rheuma, die uns völlig unerwartet getroffen hat. Das war Neos erster schwerer Schub, einen weiteren hatte er 2013. Danach hatten wir glücklicherweise viele Jahre Ruhe. Die oft als unsichtbar bezeichnete Krankheit war selbst in meinen Augen so gut wie weg. Ich hatte geglaubt, wir hätten das Schlimmste überstanden. Und dann kam Silvester der große Schock: Neo hatte bereits gehumpelt und plötzlich konnte er nicht mal mehr seine Socken anziehen, weil die Finger so schmerzten.

Bis zu diesem Zeitpunkt wusste Neos Schule zwar von seiner Krankheit, aber sie hatte im Alltag kaum eine Rolle gespielt. Den Schub haben wir zum Anlass genommen, Mitschüler und Lehrer in einem kleinen Vortrag über Rheuma zu informieren. Wir wollten ihnen vor Augen führen, was das eigentlich bedeutet. Für den Vortrag hatte Neo auch Rheuma-Simulationshandschuhe mit in die Schule gebracht, damit seine Mitschüler mal selbst fühlen konnten, wie schwer es ist, mit Rheuma einen Stift zu halten oder Schnürsenkel zu binden.

Denn eben weil die Krankheit meist unsichtbar ist, fehlt das Verständnis. Andere können nicht nachvollziehen, warum Neo morgens so schwer in die Gänge kommt, sich nicht richtig bewegen kann, nicht so schnell schreiben kann.

Neben der Krankheit an sich ist die Organisation des Alltags eine Riesenherausforderung für mich. Neo muss mindestens vier Mal im Jahr, zurzeit alle 6 bis 8 Wochen, zum Rheumatologen in Berlin. Dazu kommen zwei Augenarzttermine pro Jahr, da kindliches Rheuma im schlimmsten Fall sogar zur Erblindung führen kann. Außerdem bekommt Neo durch den jüngsten Schub jetzt wieder regelmäßig Ergo- und Physiotherapie. Auch die finanziellen Belastungen summieren sich mit der Zeit, z.B. durch die vielen Fahrten zur Charité.

Am schwersten aber ist es zu sehen, wie Neo unter der Krankheit und den Behandlungen leidet. Als er noch kleiner war, mussten ihn beim Blutabnehmen bis zu vier Erwachsene festhalten. Mittlerweile kann er besser damit umgehen. Als Basistherapie bekam er MTX, das in höheren Dosen bei Krebspatienten eingesetzt wird. Als wir damit angefangen haben, dachte ich mit Blick auf die Nebenwirkungen: ,Du gibst deinem Sohn Gift.‘ In meiner Verzweiflung habe ich diverse Alternativen ausprobiert, wir waren sogar bei einem Heiler. Nun mussten wir noch um Humira erweitern und wenn die Schmerzen zu stark sind, bekommt er Schmerzmittel.

Heute kommen wir gut zurecht. Ob und welche Spätfolgen die Medikamente bei Neo haben, wird sich erst in einigen Jahren zeigen. Bis dahin versuchen wir den Alltag so normal wie möglich zu gestalten und dem Rheuma wenig Raum zu geben. Beispielsweise darf Neo Schlagzeug spielen, obwohl das zumindest in aktiven Krankheitsphasen schwierig ist.

Außerdem sind wir in verschiedene medizinischen Studien involviert. Wenn wir schon so einen Mist an der Backe haben, dann sollen wenigstens andere davon profitieren.“

Manuela Dietrich mit Sohn Neo aus Lübben