Leere statt Lehre

Datum: Freitag, 30. November 2018 11:46

Wie reagiert die Politik auf den Lehrermangel?
Nun, wo wir einmal in diesem Schlamassel stecken, sollten wir einerseits natürlich schauen, wie sich solch ein drastischer Lehrermangel künftig vermeiden lässt. Dazu wollen wir zunächst einen Überblick geben, mit welchen Maßnahmen die Politik die derzeitige Situation entschärfen will:

Kurzfristige Lösungsansätze
Da aktuell Lehrer fehlen und die kürzliche vorgenommene Erhöhung der Studienplätze erst in einigen Jahren greift, bleibt derzeit nur die Möglichkeit, anderweitig Personal zu akquirieren: Das sind vor allem Quer- bzw. Seiteneinsteiger. Zudem werden ältere Lehrer gebeten, später in den Ruhestand zu gehen. Teilweise ist es auch gelungen, bereits pensionierte bzw. berentete Lehrer noch einmal für den stundenweisen Unterricht zugewinnen. Zudem wurde ehemaligen DDR-Grundschullehrern ermöglicht, zu unterrichten. Bisher war deren Qualifizierung nicht anerkannt worden. In Berlin ist die Not sogar so groß, dass dort Lehramtsstudierende im Masterstudiengang aktiv für stundenweisen Unterricht angeworben werden, Kampagnen-Motto: Unterrichten statt kellnern. In Sachsen versucht man zudem, Lehrer mit einer Prämie in die ländlichen Regionen zu locken. Angehende Lehrer zieht es nämlich eher nach Dresden und Leipzig, weniger nach Bautzen oder Hoyerswerda.

Langfristige Lösungsansätze
Damit wir in fünf Jahren nicht erneut bzw. immer noch vor dem Problem stehen, müssen folgende Weichen gestellt werden: Erstens, muss die Zahl der Studienplätze im Lehramt erhöht werden, was in vielen Bundesländern bereits passiert ist. Zweitens, braucht es eine bessere Bedarfsplanung. Die zur Verfügung stehenden Zahlen und Statistiken müssen regelmäßig, am besten jährlich, analysiert und die Prognosen entsprechend aktualisiert werden. Drittens, muss der Lehrerberuf attraktiver werden. Mit der Verbeamtung ist das in Brandenburg und vor kurzem endlich auch in Sachsen passiert. Finanziell stehen Lehrer heute bereits vergleichsweise gut dar. Sie verdienen sowohl im internationalen Vergleich als auch im Vergleich zu anderen Berufsgruppen in Deutschland sehr gut. Allerdings sorgt der deutsche Föderalismus dafür, dass Lehrer in Bayern deutlich mehr verdienen als in Brandenburg – zumindest, wenn sie in der gleichen Gehaltsstufe eingruppiert sind.

Das verdienen Grundschullehrer

Sachsen (A13) 3.943 Euro
Brandenburg (A13) 3.915 Euro
Bayern (A12) 3.520 Euro
Rheinland-Pfalz (A12) 3.266 Euro

Bruttogehalt verbeamteter Grundschullehrer (Einstiegsgehalt)

Zum Vergleich: Ein junger Polizeikommissar wird in Sachsen in die Besoldungsgruppe A 9 eingestuft und bekommt dort als Einstiegsgehalt 2.698 Euro brutto.
Damit der Lehrerberuf wieder attraktiver wird, braucht es nicht nur ein angemessenes Gehalt, betont Jens Risse von der GEW Sachsen: „Der Lehrerberuf ist nicht attraktiv. Die hohe Arbeitsbelastung und die hohe gesundheitliche und nervliche Belastung schrecken ab. Der Lehrerberuf hat ein Imageproblem.“ Es braucht also mehr Wertschätzung durch die Politik und die Gesellschaft. Meldungen über Gewalt gegen Lehrer, Internet-Pranger und Brennpunkt-Schulen machen nicht eben Lust auf diesen Beruf. Mit der geforderten Inklusion wird die Schülerschaft noch heterogener, als sie es ohnehin ist. Schule ist längst nicht mehr nur ein Ort zur Wissensvermittlung. Dort müssen Lehrer zunehmend versuchen, das auszugleichen, was manche Elternhäuser versäumt haben. Sie müssen Kinder erziehen statt unterrichten. Eigentlich ist das aber nicht ihre Aufgabe, weder sind sie dafür ausgebildet, noch haben sie dafür Zeit.

Da Schule immer mehr leisten muss, fordert Bildungsexperte Maaz mehr Unterstützung der Lehrer beispielsweise durch Sozialarbeiter und Psychologen: „Es braucht an den Schulen auch andere pädagogische Berufe. Teilweise erleben wir das bereits im Zuge des Ausbaus von Ganztagsangeboten. Aber für den Kernbereich Schule wird das noch nicht in dem Maße umgesetzt, wie ich mir das wünschen würde.“
Ein weiterer Punkt, damit der Lehrerberuf attraktiver wird, wäre eine Entlastung in der Arbeitszeit. Deutsche Lehrer unterrichten pro Woche durchschnittlich zehn Stunden mehr als ihre Kollegen in Finnland. Durch die knappe Personalausstattung an den Schulen lassen sich Ausfälle durch Krankheit oder Mutterschutz kaum kompensieren. Eltern von Schülern mit hohem Stundenausfall können ein Lied davon singen. In Sachsen lag der Unterrichtsausfall im vergangenen Schuljahr an den Grundschulen bei 3,8 Prozent, an den Oberschulen bei 5,4 Prozent und bei den Gymnasien bei 4,1 Prozent. Die Landesregierungen sind bisher nicht gewillt, die sogenannte Vertretungsreserve aufzustocken. Derzeit liegt sie in Brandenburg bei drei Prozent, der Vertretungsbedarf ist in den vergangenen acht Jahren von acht auf zwölf Prozent gestiegen. Davon fällt zwar nach Ministeriumsangaben „nur“ etwa zwei Prozent tatsächlich aus. Das heißt aber auch, dass zehn Prozent, also etwa jede zehnte Unterrichtsstunde, nicht regulär stattfindet, sondern von einem anderen eventuell fachfremden Lehrer oder in einem anderen Fach gehalten wird oder stattdessen Stillarbeit stattfindet.

Bildungsausgaben – viel hilft viel?
Die Schulen brauchen also mehr Personal – mehr Lehrer, aber auch andere Berufsgruppen. Dafür braucht es zunächst einmal mehr Geld. Da stellt sich die Frage, ob ein vergleichsweise reiches Land wie Deutschland zu wenig Geld für Bildung ausgibt? Die OECD hat in ihrer 2018 veröffentlichten Studie „Bildung auf einen Blick“ verschiedene Indikatoren international miteinander verglichen. Unter anderem schauten die Autoren, wieviel Prozent des Bruttoinlandsproduktes jedes Land für Bildung ausgibt. Mit drei Prozent liegt Deutschland unter dem OECD-Schnitt von 3,51 Prozent und deutlich hinter PISA-Gewinnern wie Finnland.
Wir haben die zuständigen Ministerien in Sachsen und Brandenburg darauf angesprochen und gefragt, ob in Deutschland zu wenig Geld für Bildung ausgegeben wird. Beim Brandenburgischen Bildungsministerium verweist man darauf, dass die Bildungsausgaben in den vergangenen Jahren angestiegen seien und auch weiter ansteigen werden. Die höheren Ausgaben würden vor allem in eine verbesserte Personalausstattung der Schulen investiert – sowohl für Lehrer als auch weiteres pädagogisches Personal.

Ausgaben für Schulen in Brandenburg

2017 Plan 2018 Plan 2019 Plan 2020
1.35 Mrd. Euro 1.33 Mrd. Euro 1.48 Mrd. Euro 1.54 Mrd. Euro

 

Auch in Sachsen verweist man auf steigende Bildungsausgaben. Allein um dem Lehrer- und Erziehermangel entgegenzuwirken, habe man für dieses Jahr 5,3 Mrd. Euro zusätzlich veranschlagt. Zudem, so heißt es weiter vom Kultusministerium, sei ein Vergleich der anteiligen Bildungsausgaben wenig aussagekräftig. Schließlich habe Deutschland ein vergleichsweise hohes BIP, ein Vergleich der pro-Kopf-Ausgaben sei aussagekräftiger. Also haben wir uns auch die Pro-Kopf-Ausgaben in der besagten OECD-Studie angesehen und siehe da: Auch hier landet Deutschland nur im unteren Mittelfeld: Was die Investitionen in Bildung angeht, haben wir also in Deutschland noch jede Menge Luft nach oben. Doch Geld allein hilft auch nicht, wie Heinz-Peter Meidinger vom Lehrerverband zu bedenken gibt: „Allerdings nutzt natürlich die Bereitstellung zusätzlicher Lehrerplanstellen wenig, wenn keine Lehramtsabsolventen auf dem Lehrerarbeitsmarkt verfügbar sind.“ Viel Geld auszugeben für eine Erhöhung der Abiturientenquote und eine längere durchschnittliche Beschulungsdauer bringe nichts, wenn gleichzeitig die Leistungsansprüche schrittweise gesenkt werden.