Leere statt Lehre

Datum: Freitag, 30. November 2018 11:46


"Wir stehen erst am Anfang des Lehrermangels"

Interview mit Prof. Dr. Kai Maaz, Direktor der Abteilung „Struktur und Steuerung des Bildungswesens“ am DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation. Prof. Maaz ist Co-Autor des jüngst veröffentlichten Bildungsberichts, der von einem weiter steigenden Lehrerbedarf in den kommenden Jahren ausgeht. Ein Gespräch über Statistiken, Seiteneinsteiger und faire Bezahlung.

Laut jüngstem Bildungsbericht wird sich der aktuelle Lehrermangel in den kommenden Jahren weiter verschärfen …
Ja, wir stehen möglicherweise erst am Anfang der kritischen Situation. Allein aufgrund der weiter steigenden Geburtenzahlen dürfte sich der Lehrermangel ausweiten. Auch die derzeitige Altersstruktur der Lehrer deutet darauf hin, dass der Bedarf nicht weniger werden wird.

Die Zahl der Schüler ist in der Regel mindestens sechs Jahre im Voraus bekannt, die Zahl der in den Ruhestand gehenden Lehrer sogar noch länger – warum hat der Lehrermangel dennoch so viele Verantwortliche offenbar überrascht?
Das ist eine sehr gute Frage. Wir konnten uns das auch nicht erklären. Denn die Wissenschaft hatte das lange angekündigt. Möglicherweise hat die Politik sich die Zahlen nicht in aller Tiefe angeschaut. Vielleicht hatte sie auch die Hoffnung, dass die Schülerzahlen zurückgehen. Für mich ist das nicht nachvollziehbar. Aber zumindest beim Thema Zuwanderung muss man die Politiker in Schutz nehmen. Deren Größenordnung war nicht vorhersehbar. Die Geburtenentwicklung hatte sich dagegen schon lange abgezeichnet.

Welche Maßnahmen würden Sie empfehlen, um den Bedarf an Lehrkräften zu decken?
Langfristig muss es gelingen, den Lehrerberuf attraktiver zu machen. Das fängt schon bei einer gezielten Berufs- und Studienorientierung an. Denkbar sind auch bundesländer-übergreifende Werbemaßnahmen und Abstimmungen. Der Lehrermangel trifft ja vor allem die ostdeutschen Bundesländer. Bis die jetzt eingeleiteten Maßnahmen greifen, dauert es mindestens fünf bis sieben Jahre. Trotzdem würde ich empfehlen, noch mehr Lehrer auszubilden. Denn dass wir demnächst einen Lehrerüberschuss haben, sehe ich derzeit nicht. Kurzfristig hat die Politik wenig Handlungsspielräume. Da bleiben fast nur die Seiteneinsteiger.

Können Sie beurteilen, wie die Seiteneinsteiger an den Schulen ankommen? Wie steht es um ihre Qualifizierung?
Inwiefern die Seiteneinsteiger ausreichend qualifiziert werden, kann ich nicht pauschal beurteilen. Dafür fehlen noch empirische Studien. Das ist in der aktuellen Situation wenig verwunderlich. Im Moment gibt es dringendere Sorgen, nämlich den Lehrerbedarf abzudecken. Aber natürlich ist die Qualität dennoch wichtig, sonst rächt sich zu schneller Aktionismus in der Zukunft. Entscheidend ist dabei, dass das Personal sowohl vorbereitend als auch begleitend geschult wird. Aber die Qualitätsfrage müssen wir auch bei grundständig ausgebildeten Lehrern stellen, sie müssen sich ebenfalls regelmäßig fortbilden.

Lässt sich denn schon sagen, wie sich der Lehrermangel und der relativ hohe Anteil an Seiteneinsteigern auf die Unterrichtsqualität an den Schulen auswirken?
Da lässt sich bisher kein kausaler Zusammenhang feststellen. Bisherige Erhebungen zeigen keine Auffälligkeiten, aber vielleicht ist es dafür einfach noch zu früh. Ich denke, dass sich der hohe Anteil an Seiteneinsteigern langfristig sehr wohl auf die Unterrichtsqualität auswirken kann. Daher ist es in jedem Fall wichtig, die Qualitätsfrage intensiv zu stellen und Seiteneinsteiger v.a. im Bereich Didaktik zu qualifizieren.

Sie sagten, der Lehrerberuf müsse wieder attraktiver werden. Was ist dafür nötig?
Einerseits ist der Beruf bereits sehr attraktiv, da er mit bestimmten Freiheiten verbunden ist. Auf der anderen Seite gibt es große Unterschiede je nach Schulform, z.B. bei der Bezahlung. In vielen Bundesländern wird eine Lehrkraft an der Grundschule anders bezahlt als am Gymnasium. Ist das gerechtfertigt? Ist es tatsächlich leichter, einem Kind lesen und schreiben beizubringen als Unterrichtsstoff der Sekundarstufe II? Ich sehe das nicht so. Daher macht es durchaus Sinn, ein einheitliches Entlohnungssystem zumindest einmal grundlegend zu diskutieren.

Während Schulen über Lehrermangel klagen, suchen Kitas händeringend Erzieher. Sehen Sie im Bereich der Kindertagesbetreuung eine ähnliche Situation auf uns zukommen?
Die Situation ist hier sogar noch etwas schwieriger. Der Bedarf an Erzieherinnen wird in den kommenden Jahren weiter steigen. Da spielen mehrere Faktoren mit ein: Die immer noch steigenden Geburtenzahlen, die Zunahme der Müttererwerbstätigkeit und die Altersstruktur des Personals in den Kitas. Und nicht zuletzt wird die Anpassung des Betreuungsschlüssels den Bedarf deutlich erhöhen. Aktuell gehen wir von einer Personallücke von mindestens 40.000 pädagogischen Fachkräften im Kita-Bereich bis 2025 aus. Wenn sich der Personalschlüssel in einigen Bundesländern tatsächlich verbessert, dann wird die Lücke sogar noch größer ausfallen.

Haben Sie den Eindruck, dass die Politik diesmal eher reagiert?
Da bin ich mir nicht ganz sicher. Und es wird hier auch ungleich schwieriger werden, weil der Beruf der Erzieherinnen nicht attraktiv entlohnt ist. Dabei ist es eine sehr wichtige Tätigkeit.

Vielen Dank für das Gespräch.

Foto (c) Tom Baerwald für DIPF