Wischen, Klicken, Zocken

Datum: Dienstag, 30. April 2019 15:08

Eltern als Begleiter in die digitale Welt
Der zweite wichtige Schritt: Wenn die Kinder in das Alter kommen, in dem sie digitale Medien selbst aktiv nutzen sollen oder wollen, dann brauchen sie Begleitung durch die Eltern, das gilt übrigens auch fürs Fernsehen. Eltern sollten wissen, welche Sendungen sich ihre Kinder regelmäßig anschauen, auf welchen Internetseiten sie aktiv sind. Man kann die Kinder nach der Bildschirmzeit auch bewusst fragen, was sie gesehen haben. Dann merkt man auch, ob sie es überhaupt verstanden haben oder sich nur haben berieseln lassen. Apps für jüngere Kinder sollte man mit ihnen auswählen und zunächst allein oder mit dem Kind gemeinsam ausprobieren.

Kindernachrichten, die etwa ab der 1./2. Klasse geeignet sind, sollte man ebenfalls gemeinsam schauen. Denn selbst wenn diese speziell für jüngere Kinder aufbereitet sind, wird es vermutlich Themen, Bilder und Informationen geben, die das Kind beschäftigen und über die es sich gern austauschen würde. Diese Gelegenheit sollte es auch bekommen. Und selbst in der Pubertät, wenn der Sohnemann sich stundenlang in sein Zimmer zurückzieht, um mit Kumpels zu zocken, hat es schon so manche Eltern-Kind-Beziehung gerettet, wenn man statt zu verbieten, als Elternteil einfach mal mitzockt. Vermutlich macht es den Junior sogar stolz, wenn er Papa erklären darf, wie das Spiel funktioniert. Und als Elternteil kann man nach ein paar Runden vielleicht den Reiz, der von diesen Spielen ausgeht, besser nachvollziehen.

Nichtsdestotrotz sind Regeln im Umgang mit Medien wichtig. So wie man als Familie Regeln im Umgang miteinander, während der Mahlzeiten, für das gemeinsame Spielen und die Hausaufgaben vereinbart und erwartet, dass sich alle daran halten, so braucht es diese Regeln auch für den Medienkonsum. Das fängt mit der Begrenzung der Bildschirmzeiten an. Es gibt verschiedene offizielle Empfehlungen, wie lange Kinder je nach Alter vorm TV oder Tablet sitzen sollten. Von der Realität in Kinderzimmern sind sie leider weit entfernt.

Bildschirmzeiten zwischen Empfehlung und Realität
Wer wissen will, wie viel Zeit Kinder täglich vor dem Fernseher, dem Computer und dem Smartphone verbringen, der kann einfach mal für ein paar Tage die Bildschirmzeit des eigenen Nachwuchses erfassen. Und dann ist man vermutlich doch erstaunt, was sich da alles summiert. Offizielle Zahlen ermittelt regelmäßig der Medienpädagogische Forschungsverbund Südwest mit den KIM- und JIM-Studien zur Mediennutzung von 6 bis 19-Jährigen. Dort werden Eltern und Kinder gebeten, den täglichen Medienkonsum einzuschätzen. Und da sich die Zahlen zum Fernsehen mit denen der Gesellschaft für Konsumforschung decken, scheinen sie einigermaßen verlässlich. Demnach verbringen Kinder bis 13 Jahre täglich drei Stunden vor dem Bildschirm, davon die Hälfte vor dem Fernseher. 2002 waren es noch zwei Stunden täglich. Seitdem haben sich Internet und Smartphone in den Kinderzimmern eingerichtet. Die Kinder schauen heute zwar etwas weniger Fernsehen, aber Chatten und Spielen haben das mehr als ausgeglichen.

Auch Jugendliche von 12 bis 19 Jahren wurden nach ihrer täglichen Onlinezeit gefragt. 2018 verbrachten sie im Schnitt dreieinhalb Stunden im Internet, gut anderthalb Stunden mehr als noch 2008. Eine weitere Studie, die sich auf Zahlen aus dem nationalen Bildungspanel beruft, besagt, dass 17 Prozent der Viertklässler täglich mehr als vier Stunden vor dem Bildschirm verbringen. Eine weitere Studie von Super RTL hat das Verhalten seiner jüngsten Zuschauer ermittelt: Demnach verbringen 3 bis 5-Jährige täglich 74 Minuten vor dem Fernseher. Im krassen Gegensatz zu all diesen Zahlen stehen die Empfehlungen zu Bildschirmzeiten für Kinder und Jugendliche. Es gibt verschiedene Initiativen, die Richtwerte veröffentlichen, hier ein mögliches Zeitkontingent, an dem sich Eltern orientieren können:

  • 0-3 Jahre: möglichst keine Bildschirmzeiten
  • 3-6 Jahre: bis zu 30 min täglich
  • 7-10 Jahre: bis zu eine Stunde täglich


Für ältere Kinder empfehlen sich Wochenkontingente, orientiert am Alter: Pro Woche sind so viele Stunden okay, wie das Kind alt ist, d.h. Elfjährige können elf Stunden pro Woche zocken, streamen und chatten, 14-Jährige bis zu 14 Stunden.

Je älter die Kinder werden, desto schwieriger wird es, diese Regeln tatsächlich auch umzusetzen. Hier kann es helfen, gemeinsam mit dem Kind einen Mediennutzungsvertrag aufzusetzen und unterschreiben zu lassen, am besten mit entsprechenden Konsequenzen bei Nichteinhaltung. Wenn die Kinder an dem Vertrag mitwirken dürfen und er immer wieder dem Alter angepasst wird, kann das tatsächlich helfen, tägliche Diskussionen zu dem Thema zu verhindern oder zumindest zu reduzieren.

Zum Festlegen von Regeln gehört auch das Thematisieren möglicher Gefahren, wie Cyber-Mobbing, Sexting, das (unbeabsichtigte) Nutzen von kostenpflichtigen Angeboten. Zudem sollte man Kindern klar machen, dass ein angemessener Ton auch bei der Online-Kommunikation wichtig ist – Stichwort Netiquette. Ebenfalls sollte man mit den Kindern das Thema Datensicherheit besprechen. Je jünger die Kinder sind, desto weniger können sie einschätzen, wie wertvoll die Währung Daten in der digitalen Welt ist und wie wichtig es ist, so wenig wie möglich und so viel wie nötig preiszugeben.

Darüber sollte man spätestens sprechen, wenn das Kind ein eigenes Smartphone bekommt. Und das wird immer früher: Bereits jeder zweite Neunjährige hat eines, im Alter von 13 Jahren besitzen bereits 95 Prozent der Jugendlichen ein Smartphone. Das nutzen sie an erster Stelle zum Kommunizieren mit Freunden und Familie, WhatsApp ist für sie die wichtigste Funktion und das wichtigste Bindeglied zu Freunden und Kumpels. Erst mit deutlichem Abstand folgen Spiele, Unterhaltung und Information.

Je größer die lieben Kleinen werden, desto weniger bekommen Eltern mit, auf welchen Internetseiten und Apps sie am liebsten unterwegs sind. Genau diese Infos werden aber regelmäßig erhoben – vom Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest (mpfs). Seit 1998 erfasst er die Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen. Hier die aktuellen Zahlen: Die mit Abstand beliebteste und am häufigsten genutzt App beim Nachwuchs ist WhatsApp, gefolgt mit etwas Abstand von YouTube und den Bilderplattformen Instagram und Snapchat.

Bevor die Kinder ins YouTube- und Instagram-Alter kommen, sind sie auf den Seiten ihrer Lieblings-TV-Sender unterwegs. Bei den 6- bis 9-Jährigen wird die Liste der beliebtesten Internetseiten von Toggo und Kika angeführt, gefolgt von den Kinder-Suchmaschinen Blinde Kuh und FragFinn und der Spiele-Seite Spielaffe (KIM-Studie 2016).

Bei den Spielen Älterer stehen seit Jahren drei Favoriten besonders hoch in der Gunst: Minecraft, FIFA und Grand Theft Auto. 2018 landete ein Neueinsteiger sofort auf Platz 1: Fortnite, ein Kooperations- und Survival-Spiel, das die Jugendlichen allein oder in Teams spielen. Mädchen spielen weniger und dann am liebsten Sims.

Wie schnelllebig die Trends in der Online-Welt sind, zeigt ein Blick zurück auf die JIM-Studien der vergangenen Jahre. Mitte der 2000er stand der Messenger ICQ hoch im Kurs, der später von Whats-App abgelöst wurde. Ab 2007 wurde SchülerVZ zur wichtigsten Plattform für Jugendliche, sechs Jahre später verschwand die Seite still und leise. Viele Jugendliche wechselten zu Facebook. Facebook wird für Jugendliche aber immer weniger interessant, hier diskutieren und kommentieren heute eher die Generationen jenseits der 20. Und so ist heute völlig offen, wo sich die Kids in fünf Jahren tummeln.

Smombies – vom Jugendwort zur Unfallquelle

Für (jugendliche wie erwachsene) Smartphone-Besitzer, die ihre Umgebung unterwegs kaum noch wahrnehmen, gibt es bereits eine eigene wenig schmeichelhafte Bezeichnung: Smombies – als Kunstwort aus Smartphone-Zombies, 2015 wurde es zum Jugendwort des Jahres gewählt.  Heute sind sie eine ernste Gefahr für sich und andere Verkehrsteilnehmer. Denn ihre Bildschirm-Fixiertheit verursacht teils gefährliche Unfälle. Erst jüngst untersuchte die Leipziger Uniklinik das Phänomen genauer, da sie seit 2016 steigende Smombie-Unfälle registriert. Auch andere Länder verzeichnen steigende Unfallzahlen mit Smombies. Doch statt die Smartphone-Nutzung einzuschränken, soll Technik die Misere lösen: In der litauischen Hauptstadt Vilnius wurde eine eigene Smombie-Spur ausgewiesen, mit weißen Richtungspfeilen. In Tel Aviv und den Niederlanden werden an Kreuzungen in den Boden eingelassene Ampeln getestet. In Südkorea sollen Benachrichtigungen aufs Handy oder Lichtsignale an Straßenübergangen Fußgänger blitzschnell vor gefährlichen Situationen warnen.

Exkurs: Klimakiller Smartphone?

Es gehört mittlerweile zum Alltag, es ist ständig bei der Hand. Doch wie klimaschädlich das Smartphone ist, darüber sind sich die wenigsten Nutzer im Klaren. Wie viele Ressourcen die smarten Telefone und die restliche IT-Branche verbrauchen, belegen mittlerweile Studien. Aktuell beansprucht die IKT-Branche etwa zehn Prozent des gesamten Energiebedarfs – sowohl bundesweit als auch weltweit. Je nach Szenario wird der Anteil bis zum Jahr 2050 entweder stagnieren oder sogar auf bis zu 50 Prozent steigen. Wachsen wird vor allem der Energiehunger der Rechenzentren. Denn das Problem ist weniger der direkte Stromverbrauch durch das Laden des Akkus als vielmehr das riesige Datenvolumen, das Tag für Tag tausende Rechenzentren weltweit zu Höchstleistungen antreibt. Wer sich ein zehnminütiges Video anschaut, verbraucht in etwa so viel Strom wie ein Herd in fünf Minuten. Computerspiele und die Nutzung von Cloud-Anwendungen erhöhen den Bedarf an Rechenleistung ebenfalls. Was den CO2-Ausstoß der IT-Branche angeht, stammen die aktuellsten Zahlen von 2007, da lag die Branche gleichauf mit dem Flugverkehr. Ein Großteil der CO2-Emissionen passiert während der Herstellung von Smartphones und Notebooks. In den Geräten sind Edelmetalle und seltene Erden verbaut, die oft unter menschenunwürdigen Bedingungen abgebaut werden. Die kurze Lebensdauer der Geräte lässt ihre Klimabilanz ebenfalls düster aussehen. Nach etwa zwei bis drei Jahren gibt es ein neues Smartphone, repariert oder recycelt wird viel zu selten. Oft ist eine Reparatur oder der Austausch des kaputten Akkus technisch gar nicht möglich. Denn die großen Hersteller wollen weiter Neugeräte verkaufen. Mit Erfolg: Allein in Deutschland gehen jährlich 23 Mio. Smartphones über die Ladentheke. Was wir machen können: Defekte Smartphones wenn möglich reparieren (lassen) statt neu kaufen. Geräte bei nachhaltigen, transparenten Herstellern wie Fairphone kaufen. Mehr gebrauchte Smartphones recyceln lassen, z.B. über www.handysfuerdieumwelt.de