Dieses Foto eines Edeka-Marktes löste neben Zustimmung viel Häme aus, der Marktleiter reagiert mit Humor und kommentiert: „Wir sind Teil der Genderverschwörung…. In den nächsten Wochen werden wir noch weitere Lebensmittel umbenennen… Passend zum deutschen Naturell starten wir mit Kartoffel*innen.“
Haben wir keine anderen Probleme?
Diejenigen, die Gendersprache für Unfug halten, fragen häufig: Haben wir keine anderen Sorgen? Wollen wir uns nicht lieber um die wirklichen Probleme kümmern? Ohne Frage gibt es genug Herausforderungen für die nächsten Jahre und Jahrzehnte, um die wir uns schnell und mit ganzer Kraft kümmern sollten. Doch ist das wirklich ein Grund, andere Themen liegen zu lassen und zu warten, bis der große Problemberg abgearbeitet ist? Es gibt einige Menschen, denen das Thema wirklich am Herzen liegt, die nach kreativen Lösungen für eine Sprache suchen, die nicht nur alle Geschlechter miteinbezieht, sondern zugleich lesbar bleibt. Lassen wir doch diese Menschen einfach weitermachen und alle anderen, die das für überflüssig halten, können sich ja den wirklich wichtigen Problemen widmen.
Sprache ändert sich – schon immer
Eines der häufigsten Argumente, das jene hervorbringen, die Gendern für Unfug halten lautet: Das grammatische Geschlecht (Genus) meint nicht das biologische Geschlecht (Sexus). Will heißen: Mieter können sowohl männliche als auch weibliche Personen bezeichnen – insbesondere in der Mehrzahl seien immer auch Frauen mit gemeint. Zudem könne eine Koryphäe ja ebenso ein Mann sein, obwohl es die Koryphäe heißt. Ebenso könne die Katze einen Kater meinen. Und das – und hier nun das zweite Standard-Argument – sei schon immer so gewesen.
Genau das stimmt so aber nicht. Zwar gibt es im Deutschen drei grammatische Geschlechter, neben maskulin und feminin noch das Neutrum (der, die, das bzw. er, sie, es). Tatsächlich verneint der Duden erst ab den 1970ern einen Zusammenhang zwischen grammatischem und biologischem Geschlecht. Bis dahin waren Lehrer explizit männliche Lehrpersonen und Ärztinnen explizit Frauen. Das – so die Vermutung der Sprachwissenschaftlerin Carolin Müller-Spitzer – war den damaligen historischen Gegebenheiten geschuldet. In der Öffentlichkeit waren über Jahrhunderte Männer sehr viel präsenter, Frauen spielten kaum eine Rolle. Daher war es legitim, nur von Politikern und Ärzten zu reden. Erst der gesellschaftliche Wandel, nämlich dass immer öfter Frauen öffentlich wahrnehmbar wurden, hat den Duden dazu veranlasst festzulegen, dass nun auch sie mit gemeint sind, wenn man in der Mehrzahl spricht.
Was heißt das? Sprache wandelt sich. Und das schon immer. Wer mag sich vorstellen, dass wir heute noch so schreiben und sprechen wie Goethe und Schiller vor gut 200 Jahren? Die Pandemie hat uns so viele Wortneuschöpfungen (Boostern, Lockdown, Impfneid) gebracht wie wohl nie zuvor in so kurzer Zeit. Das ist per se nichts schlechtes. Es zeigt aber vor allem eines – und das könnte eigentlich zu etwas mehr Gelassenheit in der Gender-Debatte führen: Sprache ändert sich nicht, weil es von oben so auferlegt wird.