Raus in die Natur

Datum: Freitag, 24. Juni 2011 13:33



Natur und Gesundheit:

Stromern gegen Allergie
Immer mehr Kinder leiden heute unter Allergien. Eltern von Allergikern ist der Frühling mit seiner aufblühenden Natur genau wie der Sommer mit seiner Pollenschwemme ein Gräuel. Das immer mehr Kinder im späteren Alter zu Allergien neigen, hat nicht nur mit erblicher Vorbelastung zu tun – auch das steht nicht selten in Zusammenhang mit ihrem Verschwinden aus der Natur. Kinder können in jungen Jahren durch ein ausgelassenes Leben im Freien vorbeugen, ihren Körper sensibilisieren, sodass manche Allergie sich später deutlich schwächer auswirken kann. Ausgelassenes Toben in der Natur in Kindertagen kann somit auch langwierigen Krankheitsbildern vorbeugen.

Natur und Unfallschutz:
Stolze und gefallene Helden
Eine Kindheit ohne Pflaster, Tränen und tiefe Schrammen ist keine Kindheit. Eltern sollten Panikattacken unterdrücken, auch wir sind von Mauern gefallen, wurden triefnass aus Gräben gerettet, haben uns beim Klettern auf Bäume blutige Schrammen geholt und beim Sturz vom Fahrrad oder Klettergerüst die Knie oder ganz andere Körperteile aufgeschlagen. Bei Prellungen, Zerrungen, Stauchungen oder Blessuren sollten Eltern erst einmal Ruhe bewahren. Auch wenn es schmerzhaft ist und Kinder weinen, je mehr Eltern darauf reagieren, desto mehr steigern sich Kinder in ihren Schmerz. Dabei stecken Kinder die meisten Blessuren erstaunlich schnell weg – meist hilft eine schnelle Ablenkung, eine spannende Geschichte, die Aussicht auf eine baldige Unternehmung. Vorsorgen können Eltern aber allemal: mit festem Schuhwerk und „Draußensachen“ wie derben Jeans und Shirts. Ketten und gar Ohrringe haben an tobenden Kindern nichts zu suchen. Wer seine Kleinen „herausgeputzt“ auf dem Spielplatz oder im Park präsentieren möchte, kann ja ein Fotoalbum mitnehmen. Brüllen Kinder nach einer Verletzung aber vor Schmerz, sollten beengende Kleidungsstücke schnell ausgezogen und die jeweilige Stelle möglichst schnell gekühlt werden. Dann sollten Kinder tatsächlich ruhig gehalten werden, denn jede weitere stärkere Durchblutung fördert Schwellungen und damit den Schmerz. Einen Arzt sollten Eltern unbedingt aufsuchen, wenn:
• ein Kind nach einem Kopfsturz unter Schwindel oder Übelkeit leidet
• ein Kind den verletzten Körperteil auffällig schont
• eine Schwellung stark zunimmt
• das Kind noch 5 - 10 Minuten nach dem Unfall über starke Schmerzen klagt
• Gelenkschwellungen trotz Kühlung nicht zurück gehen oder ein Gelenk nicht bewegt oder belastet werden kann.

Eine Kindheit ohne Pflaster, Tränen
und tiefe Schrammen ist keine Kindheit.



Natur und Charakter:
Das natürlich-kindliche Wesen
Noch viel weiter als die zuvor beschriebenen Abschnitte geht der Philosoph, Biologe und liebende Familienvater Andreas Weber mit seinem gerade im März dieses Jahres erschienenen Buch „Mehr Matsch!“. Teils in einfachen Bildern, teils mit den Worten eines Philosophen führt er uns das ganze Dilemma des kindlichen Entzugs von Natur und Wildnis vor – wobei letzteres ein verwildertes Grundstück inmitten der Stadt, ein Baum, eine Wiese, ein Regenwurm oder ein Hund sein kann. Er zeigt vor allem auf, wie sehr Kinder tierische Wesen als Spiegelbilder benötigen, um sich selbst zu erkennen und zu entdecken. Als Eltern wissen wir, dass Tiernamen zu den ersten Worten unserer Kinder gehören, sie von klein auf von jeglichen Tieren fasziniert sind, sie berühren und erfahren wollen. Erst kürzlich spielte meine vierjährige Tochter einen ganzen Nachmittag mit Regenwürmern im Garten und als abends in einem Bilderbuch ein Vogel einen Wurm im Schnabel hatte, schluchzte und weinte sie bitterlich in Sorge um die Regenwürmer in unserem Garten. Mit seinem Buch macht Weber klar, warum Kinder eine solche seelische Verbundenheit zu Tieren empfinden und auch benötigen – und wohin der Entzug frühkindlicher Erfahrung mit „wilden Kreaturen“ oder einfach nur purer Natur führt. Das Verschwinden der Kinder aus der Natur ist statistisch belegt und erschreckend, der vernichtende Einbruch fand in den letzten 15 Jahren statt. Zurückzuführen ist das auch auf eine von Medien geschürte, übersteigerte subjektive Wahrnehmung unendlicher Gefahren durch uns Eltern. Hinter jeder Ecke kann in unseren Augen ein Entführer locken – dabei gab es im gesamten Jahr 2009 in Deutschland nur vier Kindsentführungen mit Todesfolge. Ganz klar schreckliche und uns mit Angst erfüllende Tatbestände – aber schon der Gang auf einen Spielplatz, die Fahrt in den Urlaub, das Tollen im heimischen Zimmer bieten ein tatsächlich deutlich höheres Gefahrenpotenzial als Kinder einmal allein in die Natur zu lassen. Während über die Hälfte der 7 bis 12-jährigen Kinder nicht allein ins Freie oder auf Bäume klettern darf, können Dreiviertel der selben Altersgruppe allein im Internet surfen. Aber in Befragungen antworten über 90% der Kinder, dass sie lieber draußen spielen würden. Sie antworten auch, dass sie, wenn sie schonmal draußen spielen, am meisten vermissen, was wir Eltern verhindern wollen: Die Gefahr. Der kindliche Verlust der Wildnis zeigt bereits heute fatale Folgen in der Gesellschaft: Allein in Deutschland leiden über 100.000 Kinder unter ADS. Was die Natur heilen könnte, erledigt ein immenser Anstieg an Verabreichung der Droge Ritalin zur Ruhigstellung ihrer Lebendigkeit. Der Entzug von Natur hat somit nicht nur Auswirkungen auf Gesundheit, Motorik, Entwicklung von Körper und Psyche, das wirkt sich vielmehr auf das grundlegende Wesen unserer Kinder aus. Die fehlende seelische Nähe zu Pflanzen und Tieren lässt die emotionale Bindungsfähigkeit verkümmern, Fantasie, Kreativität und Lebensfreude schwinden. Es kommt dem Entzug von Lebendigkeit gleich, einem grundsätzlich gestörten Leben, das unsere Gesellschaft den Kindern hinterlässt. Philosophische Ausflüge werden in Webers Buch dabei immer wieder mit harten Fakten und Studien untermauert, das selbst fürsorgliche Eltern zumindest nachdenklich werden und sehr wahrscheinlich einen neuen Blickwinkel auf die natürliche Sozialisierung ihrer Kinder gewinnen werden. Ein Buch, das mich betroffen, neugierig, nachdenklich und an manchen Stellen auch wie ein Kind lachend hinterlassen hat. Ein Buch, dem ich die Kraft wünsche, wach zu rütteln und eine Diskussion in Bewegung zu bringen, die auch diesen Artikel trägt und die sich letztendlich unserem elementarsten Bedürfnis zuwendet: Unseren Kindern, ihrer Entwicklung, ihrer Lebendigkeit.