Spezial: Unser Kita- und Schulessen

Datum: Freitag, 26. Oktober 2012 13:38

„Das ist ein weites Feld“
Experten-Interview zum Thema Kita- und Schulessen 

Roewe Nadia_0021_PrintInterview mit Nadia Röwe (Oecotrophologin, Master of Science),
Wissenschaftsredaktion aid-Infodienst, Schwerpunkt Ernährungsberatung und Ernährungsbildung Kita


Wie ist es um das Essen in deutschen Kitas und Schulen bestellt?
Noch vor einigen Jahren sah das Verpflegungsangebot in Kitas und Schulen suboptimal aus. Seitdem rückt die Bedeutung einer gesunden Ernährung mehr und mehr in den Vordergrund. Projekte wie der „aid-Ernährungsführerschein“ in der Grundschule bzw. „SchmExperten“ für weiterführende Schulen oder andere Aktionen helfen, das Thema Ernährung in die Schule zu bringen. Auch das EU-Schulmilchprogramm und EU-Schulobstprogramm unterstützen diese Bemühungen. In Kindertageseinrichtungen (Kita) findet ebenfalls ein Umdenken statt. Durch die steigenden Betreuungszeiten bieten die meisten Kitas inzwischen ein Mittagessen an und organisieren immer häufiger auch das Frühstück und die Zwischenmahlzeit am Nachmittag. Dadurch übernehmen Kitas einen großen Part an Verantwortung (Ernährungsbildung) und müssen sich entsprechende Kompetenzen aneignen. Früher war der Bereich Ernährungsbildung im Elternhaus verankert.


Nach einer Studie sollen sich die Hälfte der deutschen Eltern für praktische Ernährungsbildung der Kinder interessieren, warum spiegelt das weitgehende Fehlen dieses Themas in der Bildung der Kinder dies nicht wieder?
Der Trend der Außer-Hausverpflegung hat seinen Höhepunkt immer noch nicht erreicht. Heute sind meist beide Elternteile berufstätig, wodurch Fertigprodukte sehr beliebt sind und oft die Zeit zum Kochen „fehlt“. Kinder sind somit bei der Zubereitung von Mahlzeiten aus frischen Zutaten nicht beteiligt. Die Wertschätzung von Lebensmitteln und Essen fehlt häufig, da Essen überall, schnell und günstig erhältlich ist. Schulen und Kitas müssen – dadurch bedingt, dass die Kinder immer mehr Zeit dort verbringen – den Part der Ernährungsbildung übernehmen, doch diese sind durch die straffen Lehrpläne oft überlastet oder haben den „Auftrag“ noch nicht angenommen.
Ist ein Skandal, wie wir ihn gerade beim Schulessen erlebt haben, überhaupt vermeidbar?
Das ist ein weites Feld und lässt sich in wenigen Sätzen kaum beantworten. Wenn allerdings regionale und insbesondere saisonale Produkte verwendet werden und ein hoher Wert auf die Einhaltung der Hygiene gelegt wird, lässt sich das Risiko selbstverständlich verringern. Natürlich muss man bedenken: wo Menschen arbeiten, können auch Fehler geschehen.


Deutsche Kinder werden immer dicker, liegt das auch an der Essensversorgung der Einrichtungen?
Nein bzw. nicht zwangsläufig. Obwohl Kinder den Großteil des Tages in der Kita/Schule verbringen, sind sie viele Stunden des Tages zu Hause oder unterwegs. Die Kinder können in der Kita/Schule bedarfsgerecht essen und trinken und anschließend vor dem Fernseher, der Spielekonsole oder dem Computer große Mengen Chips und Süßigkeiten essen, Brausen und Limonaden trinken und damit die Kalorienbilanz des Tages in die Höhe treiben. Wichtig ist somit, dass Eltern und ErzieherInnen/LehrerInnen eine Erziehungspartnerschaft eingehen und die Mahlzeiten aufeinander abstimmen. In Kitas wird häufig beobachtet, dass die Kinder trotz Zwischenmahlzeit am Nachmittag von ihren Eltern mit süßen Getränkepäckchen und süßen bzw. salzigen Snacks abgeholt werden – ob aus schlechtem Gewissen, weil sie zu wenig Zeit für ihre Kinder haben, dem Wunsch, ihnen etwas vermeintlich Gutes zu tun, der Sorge, dass sie nicht genug zu essen bekommen oder aus Unbedarftheit. Zudem ist nicht nur die Ernährung entscheidend, sondern auch die Bewegung. Während die Kinder in der Kita meist noch viel Bewegung bekommen, spielt der Sportunterricht in der Schule meist eine untergeordnete Rolle. Wichtig ist, dass sich Kinder in der Schule und in der Kita ausreichend bewegen und die Eltern auf ausreichende Bewegung außerhalb dieser Einrichtungen achten.
Es gibt von einer Bundesinitiative viele Vorlagen zu optimierten und ausgewogenen Speiseplänen für Kitas und Schulen, interessieren sich die Essensanbieter überhaupt dafür?
Die Kita bzw. die Schule ist Kunde und kann damit auch – in Grenzen – festlegen, was sie von einem Caterer erwartet. Empfehlungen für entsprechende Kriterien sind in den DGE-Qualitätsstandards zu finden. Leider ist durch sehr langfristige und unkündbare Verträge, die Vorgabe eines bestimmten Caterers durch den Träger, den Preis und zum Teil durch das Fehlen von ausreichend Konkurrenz die Auswahl beschränkt. Doch oft lohnt sich ein gemeinsames Gespräch mit dem Caterer. Häufig klagen diese, dass Kitas und Schulen zu selten ihre Wünsche äußern.


Kann man für ca. 2 Euro überhaupt eine gesunde Mittagsmahlzeit erwarten?
Der Preis alleine sagt nichts über die Qualität einer Mahlzeit aus. Auch bei einem niedrigen Budget kann das angebotene Essen bedarfsgerecht und ausgewogen sein. Natürlich verleiht ein größeres Budget mehr Spielraum für ein vielfältigeres Angebot mit größerer Lebensmittelauswahl und hochwertigeren Zutaten.

 

Worauf sollten Eltern besonders achten, die sich um eine gesunde Versorgung ihrer Kinder in Kita und Schule sorgen?
Eltern können sich beim Aufnahmegespräch in der Kita oder Schule über das Verpflegungskonzept der Einrichtung aufklären lassen. Zudem können die Speisepläne in der Regel eingesehen werden. In der Kita können sich Eltern auch das Mittagessen ansehen. Dies ist sicherlich auch in der Schule möglich. Die DGE-Qualitätsstandards können z.B. für die Speisepläne als Bewertungsmaßstab verwendet werden.


Es gibt in Deutschland eine offizielle Zertifizierung, die Orientierung geben könnte, allerdings die finanziell ohnehin gebeutelten Schulen auch Geld kostet. Ist das der richtige Weg?
Die Einhaltung einheitlicher Qualitätsstandards macht auf jeden Fall Sinn. Da die Entwicklung und Durchführung der Zertifizierung selbstverständlich mit personellem Aufwand verbunden ist, kann sie nicht kostenfrei angeboten werden; es sei denn, die Finanzierung würde von einem Ministerium getragen. Doch Schulen und Kitas können die Standards auch ohne eine Zertifizierung umsetzen. Die Einhaltung der Kriterien muss nur in irgendeiner Art und Weise gesichert sein.


Es gibt einen offiziellen Qualitätsstandard für die Schulverpflegung, der bundesweit gilt. Warum gibt es dennoch so große Unterschiede in der Praxis?
Die Gründe können vielfältig sein und vom fehlenden Bewusstsein für die Bedeutung einer gesunden Ernährung über mangelndes Interesse bis zur unzureichenden Bekanntheit der Qualitätsstandards reichen. Bei einer Zertifizierung können der hohe Aufwand und die Finanzierung Gründe gegen diese sein. Auch müssen für die Umsetzung Verantwortliche bestimmt werden, die die Einhaltung der Qualitätsstandards gewährleisten und regelmäßig überprüfen.


Wegweiser Schulverpflegung – Essen in Schule und Kita (Heft, 56 Seiten)
Wie profitiert unsere Einrichtung von einer guten Verpflegung? Worum müssen wir uns kümmern? Was macht ein erfolgreiches Konzept aus? Und wo gibt es Unterstützung? Auf diese und weitere Fragen finden Interessierte in diesem Heft Antworten. Es richtet sich an alle, denen eine optimale Verpflegung in Kindertagesstätten und Schulen ein Anliegen ist. Es gibt einen Überblick über Grundlagen zur Kinderernährung, Ernährungsbildung, Gestaltung der Mahlzeiten, Bio-Lebensmittel in der Verpflegung und Verpflegungssysteme für das Mittagessen. Gesetzliche Vorgaben zur Hygiene und Kennzeichnung werden verständlich erklärt. Eine Checkliste und weiterführende Informationen unterstützen Akteure, die eine Verpflegung aufbauen oder verbessern möchten.
ISBN/EAN 978-3-8308-1028-5
Preis EUR 4,50


Essen und Trinken in Schulen (Nachschlagewerk/Ringordner, 168 Seiten)
Nachschlagewerk für Einsteiger und Profis! Fundiert und alltagsnah unterstützt es bei der Umsetzung einer vollwertigen Verpflegung in die Praxis. Dazu gibt es wertvolle Hinweise, um ein bestehendes Angebot zu überprüfen und zu verbessern.
ISBN/EAN 978-3-8308-0933-3
Preis 25,00 Euro
Beide Publikationen unter www.aid.de/shop