Zwischen TikTok und Tischgespräch

Datum: Freitag, 29. August 2025 16:30


Social Media und Kinder: Chancen, Risiken und Studien im Überblick. Foto: shironosov, istock

Was Social Media & Smartphones mit unseren Kindern machen

Das Essen ist serviert, doch die Augen kleben am Handybildschirm: Nachrichten ploppen auf, kurze Videos ziehen in den Bann, während die Teller fast unberührt bleiben. Für viele Familien ist diese Szene längst Alltag. Smartphones und Soziale Medien werden immer früher zum Selbstverständnis im Aufwachsen unserer Kinder. Inzwischen belegen aber immer mehr seriöse und fundierte Studien, wie negativ die digitalen Begleiter die Gesundheit und die geistige wie körperliche Entwicklung unserer Kinder beeinflussen. Und wie sehr wir Eltern dabei versagen, unsere Kinder davor zu schützen oder ihnen zumindest im Umgang damit zu helfen. Dass die Hinweise im Titelthema zur frühen Bildung unserer Kinder in dieser Ausgabe ohne Smartphone und digitale Medien auskommen, hat gute Gründe. In Übereinstimmung kommen die relevanten Wissenschaftsdisziplinen zum Schluss, dass Kinder bis einschließlich 12 kein Smartphone und keine Sozialen Medien nutzen sollten. Studien belegen längst die Zunahme von Einsamkeit und Depressionen (Suizidindikator Nr. 1) sowie sexualisierter Gewalt gegenüber Kids und Jugendlichen in Abhängigkeit der Nutzung von Smartphone und Sozialen Medien. Welche Auswirkungen sind wirklich messbar, worauf müssen Eltern aufpassen und worin liegen die Chancen von sozialen Netzwerken? Wir checken die aktuelle Studienlage und geben Tipps, wie Sie Ihre Kinder schützen und begleiten können.


Wie viele Kids mindestens einmal pro Woche auf TikTok sind, nach Alter

  • 6–7 Jahre: 10 %
  • 8–9 Jahre: 17 %
  • 10–11 Jahre: 46 %
  • 12–13 Jahre: 71 %

Mindestalter TikTok: 13 Jahre (laut Nutzungsbedingungen)
Quelle: KIM-Studie 2024, S. 48


Kindheit ohne Soziale Medien

Pünktlich zum Redaktionsschluss Mitte August erschien das aktuelle Diskussionspapier der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina unter dem Titel „Soziale Medien und die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen“. Es beleuchtet den aktuellen Stand der Wissenschaft und kommt zu folgenden Empfehlungen:

  • Kinder unter 13 Jahren sollten keine Social-Media-Accounts einrichten dürfen.
  • Jugendliche von 13 bis 15 Jahren sollten soziale Medien nur nach gesetzlich vorgeschriebener elterlicher Zustimmung nutzen dürfen.
  • Für Jugendliche von 13 bis 17 Jahren sollen soziale Netzwerke zudem altersgerecht gestaltet werden – beispielsweise bei den algorithmischen Vorschlägen, durch ein Verbot von personalisierter Werbung oder durch die Unterbindung besonders suchterzeugender Funktionen wie Push-Nachrichten und endloses Scrollen.
  • Die Nutzung von Smartphones in Kitas und Schulen sollte bis einschließlich Klasse 10 verboten werden.

Die Empfehlungen fußen auf diversen repräsentativen Studien. Bereits vor zwei Jahren überraschte eine Studie (zu finden unter: Studie „Extrem einsam?“) mit dem Ergebnis, dass sich unter den 16- bis 23-Jährigen 55% manchmal oder immer einsam fühlen, 25% sogar angaben, im Falle problematischer Einsamkeit bzw. Traurigkeit und Depression nicht zu wissen, an wen sie sich wenden könnten. Und dass, wo die Zahl der Todesfälle durch Suizid aufgrund von Depressionen in unserem Land inzwischen die Zahl der Verkehrstoten übersteigt. Inzwischen belegen viele internationale Studien den Zusammenhang zwischen der Intensität der Nutzung Sozialer Medien und der Zunahme von Einsamkeit und Depressionen bei jungen Menschen. Das Papier der Leopoldina beleuchtet zudem weitere Folgen wie die Zunahme von Angstsymptomen, Aufmerksamkeits- oder Schlafproblemen durch Nutzung Sozialer Medien.

Ebenso frisch erschien in diesem Frühjahr eine Studie der Uniklinik Ulm, die erstmals in Deutschland repräsentativ sexuelle Grenzüberschreitungen und sexualisierte Gewalt untersucht, die online im Kindes-​ und Jugendalter stattfand. Das Ergebnis: Etwa ein Drittel der jungen Erwachsenen (18 bis 29 Jahre) waren in ihrer Kindheit betroffen – und damit mehr als dreimal so viele wie im Bevölkerungsdurchschnitt. Aufgrund des Alters der Befragten ist dies natürlich eine Rückschau und sollte bei fürsorglichen Eltern Alarm auslösen, was aktuell bei deutlich stärkerer Versorgung der Kids mit Smartphones und Sozialen Medien und schlecht regulierten Plattformen passieren kann. Übrigens zeigen Studien klar, dass Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt kein „Unterschichtenproblem“ sind, sondern sich quer und gleichmäßig verteilt durch alle sozialen Schichten unserer Gesellschaft ziehen.

Beim digitalen Mobbing sieht es ebenso fatal aus. Aktuell sind 18,5 Prozent der Schüler:innen von Cyberbullying betroffen. In absoluten Zahlen sind das mehr als zwei Millionen Kinder und Jugendliche in unserem Land. Das zeigt die Studie „Cyberlife V – Cybermobbing bei Schülerinnen und Schülern“ vom Oktober 2024. Ähnliche Zahlen lieferte eine Studie des Sinus-Instituts, laut der jede:r sechste 14- bis 17-Jährige betroffen war. „Tatorte“ sind hauptsächlich WhatsApp (50 Prozent), TikTok (43 Prozent) und Instagram (38 Prozent). Die psychischen Folgen reichten von Stress und Angst bis hin zu Depressionen und Suizidgedanken.

Laut der JIM-Studie 2024 („Jugend, Internet, Medien) berichten 61 Prozent der Jugendlichen (12 bis 19 Jahre) außerdem von Konfrontationen mit Fake News, beleidigenden Kommentaren (57 Prozent) und extremen politischen Ansichten (54 Prozent) – alles deutlich gestiegen gegenüber 2021. Ein weiteres Phänomen betrifft vor allem Frauen: Der „digitale Schlankheitsdruck“, verstärkt durch Algorithmen (z. B. auf TikTok), fördert einseitige Schönheitsideale und kann zu gestörtem Essverhalten und Körperunzufriedenheit führen. In einer finnischen Studie wies 2024 mehr als jedes dritte 16-jährige Mädchen Symptome einer Angststörung auf. Eine intensive Social Media Nutzung war verbunden mit einem negativeren Körperbild, schlechterer Stimmung und mehr Einsamkeit.

Vorliegende Daten und Fakten sind alarmierend – und wie gehen wir Eltern und unsere Gesellschaft damit um? Das Bild ist leider sehr ernüchternd.


Früher oder später kommen die meisten Jugendlichen in Kontakt mit Cybermobbing. Jatuporn Tansirimas, istock

Kindheitsprägendes Smartphone

Jedes zweite Kind besitzt ein eigenes Smartphone – so die KIM-Studie (Kinder, Internet Medien) im Jahr 2024. Umso älter, desto verbreiteter ist das Handy: angefangen bei 11 Prozent der 6- bis 7-Jährigen bis hin zu 79 Prozent bei 12- bis 13-Jährigen. Die aktuelle Postbank-Digitalstudie ermittelte 44 Prozent Handybesitzer vor dem 11. Geburtstag.

Die Hauptbeschäftigung am Handy neben Daddeln: WhatsApp und Soziale Medien wie TikTok, Instagram, Snapchat oder YouTube. Mit dem Alter nehmen Nutzungshäufigkeit und -dauer zu. Während unter den 6- bis 13-Jährigen noch etwa jede:r zweite täglich Soziale Medien nutzt, sind es unter den 12- bis 19-Jährigen schon über 80 Prozent – mit einer durchschnittlichen Nutzungsdauer von 3,5 Stunden. Kurzum: Ab der Pubertät verlagert sich die Freizeit bei Vielen endgültig ins Netz. Zur Erinnerung: bis 12 Jahre sollten Kids keinen Zugang zu Smartphone und Sozialen Medien haben, danach nur nach gesetzlich vorgeschriebener Zustimmung der Eltern. Die Folgen: Bereits vor drei Jahren wiesen laut einer WHO-Studie 11 Prozent der Jugendlichen in Deutschland sogar ein suchtartiges Nutzungsverhalten auf – ein deutlicher Anstieg um über 50% gegenüber der Vorstudie aus 2018 (damals 7 Prozent). Dieser Anteil dürfte weiter zugenommen haben. Trotz der möglichen Onlinegefahren klären Eltern ihre Kinder nur selten auf: Lediglich ein Drittel der Eltern von 6- bis 13-Jährigen bzw. 37 Prozent bei 14- bis 17-Jährigen führten mit ihren Kids vor Nutzung digitaler Medien oder Smartphones ein Gespräch über IT-Sicherheit und Gefahren, das ist das zentrale Ergebnis des ebenfalls gerade im August 2025 veröffentlichten Cybersicherheitsmonitoring 2025 vom Bundesamt für Sicherheit und Informationstechnik. Die Eltern von zwei Dritteln aller Kinder überlassen ihre Schützlinge ohne jegliches Gespräch oder Kontrolle den erwiesenen Gefahren für Gesundheit, vor allem psychischer Beeinträchtigung und sexualisierter Gewalt. Verschiedene Erhebungen zeigen, dass Eltern den Social Media-Konsum ihrer Kids an sich und in der Intenstität durchschnittlich um mehr als die Hälfte unterschätzen.

Handyverbot an Schulen?

Stattdessen diskutieren Eltern in Deutschland derzeit eifrig über ein Handyverbot an Schulen, wie es andere Länder bereits eingeführt haben. Daten zeigen, dass vor allem Kinder bildungsferner Schichten sehr stark davon profitieren können. Bereits die PISA-Studie 2022 zeigte, dass 53 Prozent der befragten Jugendlichen, die ihre Benachrichtigungen im Unterricht stummgeschaltet hatten (Handy aus), um 19 PISA-Punkte besser abschnitten, was dem Lernfortschritt von einem halben Jahr entsprach. Smartphones gelten in Schulen in Frankreich, Italien, den Niederlanden und faktisch auch in England als tabu, viele weitere Länder arbeiten an Handyverboten in Schulen. Ziel ist, die Konzentration der Schüler zu verbessern und das Lernen zu fördern. Brandneu ist übrigens ein Bericht der niederländischen Regierung, laut dem sich an 75 Prozent der Schulen mit Handyverbot die Konzentrationsfähigkeit der Schüler signifikant verbesserte. Viele Studien betonen aber auch: Ein reines Verbot reicht nicht. Auch haben Restriktionen an Schulen selten Auswirkungen auf das Daddel- und Scroll-Pensum in der Freizeit. Es braucht eine ganzheitliche Strategie, um Kinder und Jugendliche besser zu schützen – und die fängt im Elternhaus an.


Regelmäßige Handynutzung gehört zum Alltag vieler Grundschüler. Foto: Ivan-balvan, istock

Machen Smartphones dümmer?

Studien hierzu gibt es (noch) nicht. Zusammenhänge wird man erst mit der späteren Entwicklung der heutigen jungen Generationen ermitteln können. Dummheit ist auch nicht messbar, kognitive Fähigkeiten aber durchaus. So haben Wissenschaftler bei intensiven Nutzern Sozialer Medien im Hirnscan veränderte Verbindungen in Bereichen nachgewiesen, die wichtig für Konzentration, Aufmerksamkeit, Denken und verbale Intelligenz sind. Was Intelligenz an sich anbelangt, müssen Studien abgewartet werden, aber bestehende Erkenntnisse der Hirnforschung dürften auch hier Anlass zu großer Besorgnis geben. Im Grunde startet jeder Mensch mit den gleichen Voraussetzungen, eine gesunde Entwicklung im Bauch der Mutter und eine reibungslose Geburt vorausgesetzt. Danach sind vor allem Eltern (und Familie) ausschlaggebend, wie sich das Kind entwickelt. Das Gehirn eines Menschen verändert sich von der Geburt an und enthält nach aktuellen Erkenntnissen knapp 90 Millionen Nervenzellen, die durch Billionen von Synapsen miteinander verbunden sind. Genau diese Synapsen sind ausschlaggebend für die Intelligenz eines Menschen. Sie sind von Geburt an angelegt, müssen durch Nutzung in Kindheit und Jugend aber bestätigt werden, um später zur Verfügung zu stehen. Einfach gesagt: je weniger Synapsen bestätigt werden, desto beschränkter sind die kognitiven Fähigkeiten. Dass der Konsum digitaler Bildschirmmedien wie Smartphones (neben Social Media auch Gaming, Streaming, TV etc.) deutlich weniger Verknüpfungen triggert als analoger Sport im Verein oder Musik in der Musikschule bzw. im Chor, ist erwiesen. Vor allem das Lesen gilt durch eine strukturierte und stufenweise Informationsverarbeitung, die unterschiedlichste Bereiche beider Gehirnhälften beansprucht, als der zentrale Prozess zur Herausbildung von Synapsen und somit Intelligenz. Einfach veranschaulicht, werden beim Lesen aus abstrakten Strichen zuerst Buchstaben, dann Worte und Sätze und schließlich entstehen im Gehirn Bilderwelten, die unbewusst mit Erfahrungen abgeglichen werden oder Fantasie und kreatives Denken fördern. Bildmedien wie Smartphone, Soziale Medien, Gaming und Straeming verknüpfen hingegen nicht abstraktes und bildhaftes Wissen, ihr Konsum führt zu weniger kognitiver Leistungsfähigkeit. Kinder, die einen Großteil ihres Alltags genau hier verbringen, dürften folglich deutlich an geistiger Flughöhe einbüßen. Intelligenz, auch das ist längst wissenschaftlich erwiesen, ist keine Sache der Gene, sondern der Entwicklungsumstände eines Kindes.


Selbstbewusst und reflektiert in der digitalen Welt – das sollte das Ziel sein. Foto: Yuliya Smutnaya, istock

Tipps für Eltern

Natürlich eröffnet eine begleitete und verantwortungsvolle Nutzung von Smartphone & Co. auch Chancen. Kinder und Jugendliche können ihre Meinung äußern, an Diskussionen teilnehmen und Zugänge zu Ehrenamt oder politischen Bewegungen finden und erhalten einen schnellen Zugang zum Lernen – z. B. über Tutorial-Videos, Erklärinhalte oder pädagogisch aufbereitete Posts. Sie können per YouTube Sprachen lernen und mit entfernten Freunden oder Verwandten in Kontakt bleiben. In den ersten drei Lebensjahren sollten digitale Bildschirmmedien aber komplett gemieden werden und ab vier Jahren nur sehr begrenzt (täglich maximal 30 Minuten) genutzt werden. Für Smartphone & Co. sind aktuelle Empfehlungen sehr klar: bis zum 12. Lebensjahr sollten sie nicht stattfinden. Das entspricht oft nicht der Lebensrealität in Familien und vor allem dem gesellschaftlichen Umfeld heranwachsender Kinder. Eltern sollten sich bei früherer Nutzung also genau über erwiesene Gefahren informieren und mit ihren Kindern darüber sprechen. Wir Eltern sind die wichtigsten Vorbilder. Wird das eigene Verhalten reflektiert und werden Pausen aktiv vorgelebt –
z. B. das Abendessen ohne Handy – dann können sich Kinder die bewusste Nutzung abschauen. Eltern sollten Soziale Medien selbst kennen und den gewünschten Umgang damit auch selbst vorleben. Wie fast überall nutzen reine Verbote meist kaum und erzeugen ganz im Gegenteil einen zusätzlichen Reiz – sinnvoller ist ein begleitender Ansatz. So zeigte JIM-Studie 2023, dass sich Jugendliche wohler und sicherer fühlen, wenn Eltern deren Mediennutzung interessiert begleiten. Vermeiden Sie vor allem einen Frühstart Ihres Kindes in die Sozialen Medien. Eine zu frühe, unbegleitete Mediennutzung kann wie aufgeziegt zu veränderten Hirnentwicklungen wie Sprachverzögerungen, motorischen Problemen und Konzentrationsschwierigkeiten führen. Und informieren Sie sich über technische Schutzmaßnahmen! Zwei Drittel der Eltern verzichten darauf, dabei haben die meisten Smartphones integrierte Jugendschutzfunktionen für die Regulierung von App-Zugängen und ermöglichen die Kontrolle und Einschränkung der Bildschirmzeit. Stöbern Sie durch Jugendschutz-Funktionen von Smartphones und Privatsphäre- bzw. Sicherheitseinstellungen von Apps und verhandeln Sie schrittweise zu lockernde Einschränkungen gemeinsam mit Ihrem Kind.

Noch besser: Fördern Sie Ihr Kind durch Vorlesen im Kleinkindalter, später Lesen im Allgemeinen und die Anmeldung in der Bibliothek, im Sportverein oder der Musikschule. Machen Sie Ihre Kinder in der analogen Welt stark und geben Sie Ihnen Liebe und Zuneigung – denn auch das zeigen Studien: Empathie, elterliche Zuneigung und Selbstwertgefühl sind das beste Rüstzeug auch für einen sicheren Umgang mit der digitalen Welt.

Weiterführende Links

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SCHAU HIN! – Tipps, Checklisten, Newsletter, Bildungsangebote
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