Schul-Spezial Teil 2: "Ist gute Schule Zauberei?"

Datum: Montag, 30. September 2013 11:25

Exkurs über unser Bildungssystem – Teil 2

Nach unserer ausführlichen Darstellung zum Bildungssystem in der Septemberausgabe erreichten uns viele Anmerkungen und Nachfragen. Leider können wir nicht alle beantworten. In dieser Ausgabe wollen wir aber zwei Punkte näher beleuchten, zu denen sich viele Eltern bei uns meldeten: die individuelle Förderung und wie sie in der Praxis funktionieren kann und eine übersichtliche Darstellung, wie Eltern mitwirken können bzw. wo sie in Konfliktsituationen Hilfe erfahren. Zudem stellen wir Beispiele für besondere Schulkonzepte und Schulen vor, die bereits erfolgreich mit individueller Förderung arbeiten.
Bei Lesern in Hoyerswerda und Weißwasser möchten wir zudem um Verständnis bitte, dass wir uns auf das Brandenburger Schulsystem konzentrieren. Auch hier erreichten uns einige Nachfragen. Leider ist eine ebenso detaillierte Darstellung zum sächsischen Schulsystem nicht möglich, aufgrund der vielen Unterschiede müsste man das Thema dann tatsächlich noch einmal komplett aufarbeiten.

Erfolgsfaktor individuelle Förderung
Die meisten Nachfragen erreichten uns zur inklusiven Pädagogik bzw. zur individuellen Förderung, die heute als zentrales Erfolgsmerkmal für gute Schule dienen sollte. Für viele Eltern ist einfach nicht vorstellbar, wie es funktionieren kann, dass im Klassenunterricht jedes Kind individuell nach seinen Fähigkeiten und Bedürfnissen gefördert wird. Das verwundert kaum, steckt hinter individueller Förderung doch eine Vielfalt an Kompetenzen, Methoden und Maßnahmen. Aus diesem Grund ist es selbst bei gründlicher Recherche sehr schwierig, einen leicht verständlichen Überblick zu gewinnen, der diese Pädagogik beschreibt. Wir wollen es dennoch versuchen.

Im Fokus der individuellen Förderung steht vor allem ein Bündel an Lehrerkompetenzen, um die individuellen Potenziale von Schülern entfalten zu können. Dazu zählen folgende Kompetenzen:

  • Pädagogische Diagnosekompetenz
  • Didaktisch-methodische Kompetenz
  • Klassenführungskompetenz
  • Feedback- und Beurteilungskompetenz
  • Teamkompetenz
  • Planungskompetenz


Hinter der diagnostischen Kompetenz steckt ein Bündel an Fähigkeiten, mit dem Lehrer den Kenntnisstand, die Lernfortschritte und die Leistungsprobleme einzelner Schüler sowie das Niveau verschiedener Lernaufgaben beurteilen können. Nur so können die Aufgaben und die Vermittlung von Unterrichtsstoff und Kompetenzen auf Schüler individuell abgestimmt werden. Dabei ist die Diagnose ein fortlaufender Prozess, der beständig Lern- und Leistungsfortschritte, aber auch Lernschwierigkeiten jedes Schülers oder von Schülern innerhalb einer Lerngruppe hinterfragt. Dazu müssen Lehrer nicht nur über Methoden zur Einschätzung von Schülerleistungen und zur Selbstdiagnose verfügen, sondern auch Wissen über Urteilstendenzen und -fehler mitbringen. Eine gute Diagnose liefert erst die Grundlage für Unterrichtsgestaltung und Unterrichtserfolg, nur durch sie ist eine Anpassung des Unterrichts an die Lernvoraussetzungen der Schüler möglich.
StationlernenFür die auf der Diagnose aufbauende individuelle Förderung selbst benötigen die Lehrkräfte zudem fachliche, didaktisch-methodische und pädagogische Kompetenzen. Sie müssen geeignete Inhalte und Methoden sowie passende Arbeits- und Kommunikationsformen auswählen. Unterrichtsinhalte, -methoden und -formen müssen sich dabei an den Lernentwicklungsständen und dem Vorwissen der Schüler orientieren, Schülern Methoden des selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und kooperativen Lernens und Arbeitens vermitteln und bei aller Leistungsheterogenität auch die kulturelle, soziale Vielfalt in der jeweiligen Lerngruppe beachten. Damit können Schülern ganz unterschiedliche Wege des Lernens ermöglicht werden. Das klingt extrem komplex – und das ist es auch. Mögliche Unterrichtsformen für diese Pädagogik sind z. B. die Wochenplanarbeit, das Stationenlernen oder die Freiarbeit. Innerhalb dieser Methoden gibt es wiederum viele Möglichkeiten der Ausgestaltung. Allen ist eines gemein: Sie ermöglichen im Gegensatz zur stärker instruktiven Form des Frontalunterrichts oder der faktenbasierten Stoffvermittlung „im Gleichschritt“ die Berücksichtigung und Entwicklung unterschiedlicher Lernstände. Dennoch sind auch Unterrichtsanteile wichtig und sinnvoll, in denen lehrerzentriert und mit der gesamten Klasse gearbeitet wird. Individuelle Förderung beinhaltet also sowohl offenere als auch stärker instruktivere Unterrichtsphasen. Hier müssen Lehrer das richtige Maß zwischen lehrergesteuerter Instruktion und selbstgesteuertem Lernen der Schülerinnen und Schüler finden, ebenso zwischen individualisierter Lernzeit und Lernzeit in kooperativen Arbeitsformen wie Lerngruppen, zwischen der Erfüllung des Lehrplans und der Zeit, die Schülerinnen und Schüler für ihre Lernprozesse brauchen.