Klartext zum Bildungsnotstand

Datum: Montag, 07. März 2022 14:45

Ein Plädoyer für mehr Engagement von Eltern und Staat

Hochwertige Bildung ist eines der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen für unsere Welt. Wir denken dabei meist an Kinder ohne Schulzugang in Afrika oder Asien, sind inzwischen aber selbst auf dem Weg zum Bildungsverlierer. Zwar ist die Quote der Abiturienten höher denn je und auch ihr Notenschnitt deutlich besser als vor Jahrzehnten – die Realität zeigt uns aber bei deutschen Schulabsolventen eine nachlassende Allgemeinbildung, Konzentration und ein verringertes Vermögen zur Lösung komplexer Probleme. Die vergessene Digitalisierung und marode Infrastruktur der Schulen tut ihr Übriges. Das Bildungsproblem in unserem Land sehen immer mehr Köpfe als besorgniserregender an als das Klimaproblem, denn ohne gute Bildung und Kompetenzen wird unser Land die Basis für die Entwicklung nachhaltiger Lebensverhältnisse verlieren und bei der Lösung künftiger Herausforderungen wenig Beiträge leisten.

Seit nunmehr zehn Jahren schreiben wir in unserem Familienmagazin über Defizite unseres Bildungssystems. Was in den zwei zurückliegenden Pandemiejahren noch krasser sichtbar wurde, könnte für unser Land tatsächlich zum zentralen Zukunftsproblem werden. Eltern schimpfen dabei gern auf das System, auf die Situation in Kitas und Schulen – dabei trägt die heutige Elterngeneration mit einem weitgehenden Verlust von Respekt vor Pädagogen und einem falsch verstandenen Beschützer- statt Erziehungsauftrag für die eigenen Kinder mindestens ebenso zu diesem Problem bei. Das System ist nicht allein schuld, längst hat die Schere zwei Seiten:

Die Bildungskatastrophe Teil 1

Gerade im Osten blicken viele Eltern wehmütig auf das einstige Bildungssystem der DDR zurück. Es war leistungsstark und hat zu einer Allgemeinbildung geführt, die dem heutigen Bildungssystem weit überlegen ist. Es klärte über Demokratie, Geschichte und die Klassiker auf – abseits der Ideologie waren auch Goethe, Schiller, Lessing und Kopfrechnen Begleiter der Schüler. Die Ideologie hätte man bereinigen, aber nicht das gesamte System verändern müssen. Im Ergebnis wurde der Osten aber quasi kolonialisiert und auch das Bildungssystem geopfert. Heute leben wir in einem Bildungsföderalismus, der im Hick Hack der Bundesländer seit zwei Jahrzehnten keinen grundlegenden Wandel ermöglicht. Zwar wurde das bundesdeutsche Bildungssystem in Folge des PISA-Schocks Anfang der 2000er-Jahre (als Deutschlands Schüler im internationalen Vergleich extrem schlecht abschlossen) verändert, im Ergebnis aber auf standardisierte Tests und Evaluation von Kompetenzen ausgerichtet. Der beständige Methodenwechsel soll heute für mehr Abwechslung im Unterricht sorgen. Kinder lernen kaum noch dauerhaft und konzentriert, die Bildung folgt vielmehr der Medienlogik unserer Gesellschaft mit schnellen Wechseln und stets neuen Ansätzen. Das Hinterfragen, Demokratieverständnis, Entdecken von Methoden, Logik und Didaktik, dauerhafte Konzentration, Lesen und Verstehen grundlegender Gedanken und Grundlagen unserer Gesellschaft, ein „um die Ecke denken“ sind heute in den Schulen abwesend. Selbst beim rein technischen Vorgang der Digitalisierung zeigt sich die Schwerfälligkeit unseres föderalen Bildungssystems, etliche Milliardensummen zur Förderung des digitalen Umbaus brauchen Jahre, bis sie in den Schulen für Verbesserungen sorgen. Von der inhaltlichen Einführung digitaler Konzepte ist dabei noch gar keine Rede. Wie ungerecht der Föderalismus ist, merken wir gerade im Verbreitungsgebiet unserer lausebande. In den Brandenburger Landkreisen und Cottbus zählt man zu den Verlierern eines von Britta Ernst miserabel geführten Bildungssystems, stets Schlusslicht in nationalen Vergleichen. „Abi Brandenburg“ gilt inzwischen als Meme für Personen, die nicht ganz helle sind oder etwas nicht verstanden haben. In Hoyerswerda hingegen ist man Teil Sachsens und damit eines der besten Bildungssysteme Deutschlands. Insgesamt seien zum Thema zwei Podcasts eines Ost-Influencers empfohlen (siehe folgende Links), die sich den Hintergründen unserer Bildungskatastrophe sehr verständlich widmen – alles führt darauf hinaus, dass der Staat hier endlich Verantwortung übernehmen und insbesondere uns Brandenburger vom Föderalismus und von Britta Ernst befreien sollte. Leider ist Letztere die Partnerin des Bundeskanzlers und wohl auch deshalb noch immer Bildungsministerin Brandenburgs, auch wenn Landeselternrat und Lehrergewerkschaft ihren Rücktritt fordern.

Deutsche Schulen Exposed – der dunkle Parabelritter – Teil 1

Deutsche Schulen Exposed – der dunkle Parabelritter – Teil 2

Exkurs: Pandemie & Digitalisierung der Schulen

Neben strukturellen Defiziten bei der Vermittlung von Wissen in den Schulen wurde im Zuge der Pandemie die Digitalisierung als nächstes Problem sichtbar. Tatsächlich landete Deutschlands Bildungssystem schon vor der Pandemie, im Rahmen einer EU-Studie zur Ausstattung und zu Konzepten von Europas Schulen auf dem letzten Platz aller EU-Mitgliedsstaaten. In den Schulschließungen der Pandemie war der Alltag von Schulkindern in Deutschland durchschnittlich ein Drittel bis zur Hälfte weniger durch Schulbildung geprägt als vor der Pandemie. Kamen die Schulschließungen 2020 noch überraschend, folgte 2021 ein weiteres Katastrophenjahr aus reiner Untätigkeit. Im föderalen System erwiesen fast alle Bildungsministerien ihre Unfähigkeit – Brandenburg mit Britta Ernst sicher mehr als viele andere. In 2020 erlebten rund 6 % von Deutschlands Schülern ab und zu Digitalunterricht, in 2021 waren es mit 26 % noch immer nur ein Viertel. Studien weisen darauf hin, dass ein verlorenes Schuljahr mit 10 % verlorenem Lebenseinkommen korrespondiert. Dies misst sich an nicht vermittelten Kompetenzen, die sich durchs Studium bis in den späteren Beruf durchziehen und einfach für weniger Produktivität sorgen. Kein weiteres Land in Europa hat in der Pandemie seinen Kindern eine vergleichbare Bildungskatastrophe zugemutet – die Last tragen Kinder nicht nur mit belegten psychischen Problemen, sondern auch mit Auswirkungen auf ihr Lebenseinkommen. Unserem Land wird es nachhaltig an Produktivität fehlen – auch wenn wir das wahrscheinlich erst eine Generation später realisieren. Probleme in der Bildung werden in unserem Land nach wie vor verschoben und Eltern, Kindern und den Schulen überlassen.

Die Bildungskatastrophe Teil 2

Leider tragen wir Eltern ebenso Schuld an der Bildungskatastrophe. Kinder sollen heute möglichst behütet aufwachsen. Strenge Lehrer werden schnell zum Feindbild. Eine schlechte Schulnote wird gerade in Akademikerfamilien nicht akzeptiert. Die Schuld wird meist beim Lehrer oder fehlerhaften System gesucht. Lehrer werden immer weniger respektiert und zeigen in der Folge selbst kaum noch Ecken und Kanten. Sie benoten lieber besser, um Konflikte mit Eltern und oft auch den Schülern zu meiden, die daheim längst die Einstellung der Eltern zu Schule und Lehrern antizipiert haben. Leider fehlt in unserem Land auch eine Fehlerkultur. Scheitern ist unzulässig, ein Versagen ebenso. Der Schulalltag soll zum medial inszenierten, glücklichen Familienalltag passen. Ein Foto vom Schulkonzert ist wichtiger als das Verständnis der Französischen Revolution. Daheim tauchen die Kids in die Oberflächlichkeit digitaler Medien und immer seltener in Literatur oder gemeinsame Interaktion in der Familie ab. Wir erziehen unsere Kinder immer weniger zur Literatur, dabei ist Lesen der zentrale Prozess zur Verknüpfung unserer Synapsen und zur Entwicklung einer stufenweisen Informationsverarbeitung im Gehirn. Eine Entwicklung, die mit 15 Jahren und somit der 10. Klassenstufe weitgehend abgeschlossen ist. Statt Kinder abstrakt denken und verstehen zu lehren, sind es meist Eltern, die ihre Kinder vor Bildschirmen abparken, die Handynutzung nicht einschränken und ein Wischen statt Wissen fördern, dass letztendlich auch im Hirn stärker visuell und oberflächlich verarbeitet wird und unsere Kinder tatsächlich mit geringerer geistiger Flughöhe ausstattet. Damit prägen wir Eltern auch unsere Kinder – und so wird gerade eine Generation medial angepasster und ahnungsloser Kinder und Jugendlicher groß, die kaum über das Rüstzeug zur Bewältigung der großen Probleme unserer Zeit verfügt. Auch sie weisen kaum noch Ecken und Kanten auf. Für Klima, Ökologie oder vegane Ernährung folgen Kinder und Jugend dem medialen Ideal und üben auch Protest, grundlegende Kritik an Systemen, Demokratieprozessen oder Autoritäten gibt es hingegen nicht mehr. Es liegt an uns Eltern, das zu ändern. Infos zum Umgang mit digitalen Medien und zur Bedeutung des Lesens für die Entwicklung des kindlichen Gehirns finden Sie hier:

lausebande-Titelthema „Klick. Bunt. Fertig“

lausebande-Titelthema „Höher hinaus mit Lesen“

Diese Zeilen sind sicher nicht leicht verdaulich. Ein aktuelles Buch, dass die Verfehlungen der heutigen Familien – und insbesondere der Mütter – bei der Erziehung der Kinder von der Wiege bis zur Jugend analysiert, folgt diesem Klartext. Ihm widmen wir das folgende verlinkte Interview:

Interview mit Bianca Kellner-Zotz