Wie es Familien in Brandenburg geht und was Kommunen für mehr Familienfreundlichkeit machen könne, darüber haben wir mit Dr. Alina Pöge gesprochen. Sie ist Bereichslei-terin „Familie & Kindertagesbetreuung“ am Institut für angewandte Familien-, Kindheits- und Jugendforschung e.V. an der Universität Potsdam und hat im vergangenen Jahr die Familienbefragung Brandenburg veröffentlicht.
Gab es in der Befragung Erkenntnisse, die Sie überrascht haben, die Sie so nicht erwartet hatten?
Ja, ich hätte ehrlich gesagt nicht erwartet, dass die gesundheitliche Situation der Mütter und noch einmal besonders die der alleinerziehenden Mütter so besorgniserregend ist. Die Befragung hat im Winter 2022/2023 stattgefunden, das war nach der Corona-Pandemie und während der großen Unsicherheiten im ersten Kriegsjahr in der Ukraine, in der viele Menschen unter den Folgen der Inflation zu leiden hatten. Die Mütter waren erschöpft, auch psychisch. Meine Hoffnung ist natürlich, dass es ihnen jetzt wieder besser geht. Die aktuelle Weltlage bringt allerdings neue Unsicherheiten. Die werden sich auch auf das Wohlbefinden der Eltern auswirken.
In welchen Punkten unterscheiden sich Familien in Brandenburg am meisten vom Bundesdurchschnitt?
Die Mütter im Land Brandenburg sind, wie alle Mütter in ostdeutschen Bundesländern, im Durchschnitt häufiger und mit einem größeren Stundenumfang berufstätig. Hand in Hand geht dieser Befund mit einer deutlich höheren Rate bei der Kinderbetreuung, aber eben auch mit einem sehr hohen Belastungsempfinden, das durch die Herausforderung ausgelöst wird, die Anforderungen aus Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren. Dann ist in Brandenburg noch besonders, dass es einen großen Unterschied gibt zwischen den Familien im Berliner Umland, dem sogenannten „Speckgürtel“, und den Familien, die in den hauptstadtfernen ländlichen Regionen leben. Die Einkommen in diesen ländlichen Regionen sind niedriger und die Infrastruktur für Familien schlechter, das heißt sie müssen häufig weite Wege auf sich nehmen und fühlen sich nicht selten durch die Politik vernachlässigt.
Die Befragung war Teil der wissenschaftlichen Begleitung des Familienbeirats Brandenburg. Welche Konsequenzen wurden bisher daraus gezogen bzw. sollen umgesetzt werden?
Die Mitglieder des Familienbeirats hatten sich diese Befragung gewünscht, um besser über die Situation der Familien im Land Bescheid zu wissen. Die Erkenntnisse aus der Befragung sind in der Folge in alle Handlungsempfehlungen an die Landesregierung geflossen. Empfohlen wird – um nur drei Beispiele zu nennen: (1) der weitere Ausbau der Familienzentren und eine Ergänzung der Angebote um mobile und digitale Formate, um weit ins Land hinein und niedrigschwellig Familie zu erreichen; (2) eine zwischen dem Land, den Landkreisen und den Kommunen gut abgestimmte und solide finanzierte Familienbildungslandschaft, die standardmäßig Angebote zur Gesundheitsprävention in ihr Portfolio mitaufnimmt und (3) – man soll ja nicht aufhören zu träumen – die Entwicklung und Verabschiedung eines Familienfördergesetzes nach dem Vorbild Thüringens oder Berlins, das die Angebote der Familienförderung – Bildung, Beratung und Betreuung – im Land Brandenburg endlich verbindlich regelt. Leider sieht der Haushaltsentwurf der aktuellen Landesregierung eine massive Mittelkürzung im Familienbereich vor. Der Familienbeirat hat als Reaktion darauf gerade einen „Brandbrief“ an die Mitglieder des Landtags und im speziellen die Mitglieder das „Ausschusses für Gesundheit und Soziales“ geschrieben und um die Unterstützung der Familien und ein Abwenden der Sparvorhaben gebeten.
Ist eine weitere Datenerhebung zum Thema Familien in Brandenburg geplant?
Aktuell leider nicht. Es ist jedoch zu empfehlen, derartige Befragungen alle vier Jahre durchzu-führen. Wir leben in turbulenten Zeiten und die Bedürfnislagen der Menschen ändern sich stetig.
Wir schauen im lausebande-Titelthema vor allem auf die einzelnen Kommunen. Welche Maßnahmen würden Sie einer Kommune empfehlen, damit Familien dort gut und gerne leben?
Die Kommunen machen im Rahmen der Daseinsvorsorge schon viel für Familien und das ist auch sehr wichtig, nicht zuletzt, da Familienfreundlichkeit ein relevanter Standortfaktor ist. Grundsätzlich kann ich nur empfehlen, mit den Familien in den Austausch darüber zu gehen, was ihnen (noch) fehlt in ihrer Kommune. Es gibt schon tolle Beispiele für Partizipation in brandenburgischen Kommunen. So binden einige Städte und Gemeinden „Bürgerräte“ in ihre Entscheidungsprozesse wie z.B. in Herzberg/Elster – oder haben einen „Bürgerhaushalt“ einge-führt wie z.B. Spremberg.
Sie haben mit dem Institut auch ein Modellprojekt zur Familienfreundlichkeit in brandenburgischen Kommunen begleitet. Was kam dabei raus?
Da waren immer wieder Begegnungsorte und Freizeitangebote für Familien ein großes Thema. Dazu sei gesagt, dass die Menschen Familie generationsübergreifend denken! Die Menschen wünschen sich attraktive Spielplätze für „alle Generationen“ und Begegnungs- und Veranstaltungsorte, die bei allen Wetterlagen aufgesucht und genutzt werden können. Bei diesem Thema sollte man sich auch explizit Gedanken über die Bedarfe von Jugendlichen machen. Oft fehlt in dieser Übergangsphase des Lebens in den Kommunen ein geeigneter Raum (drinnen wie draußen), in dem sich Jugendliche nach ihren Bedürfnissen entfalten können. Auch hier sollten die Verantwortlichen den engen Austausch mit den Menschen suchen, die diese Angebote oder Orte nutzen sollen. Im Falle der Kinder und Jugendlichen gibt es in Brandenburg dazu sogar eine gesetzliche Verpflichtung, festgeschrieben in § 18a „Beteiligung und Mitwirkung von Kindern und Jugendlichen“ der Kommunalverfassung des Landes Brandenburg.
Haben Sie sich über ein Ergebnis der Befragung besonders gefreut?
Mein Lieblingsbefund ist, dass bei allen Belastungen durch Beruf und Alltagsbewältigung die Versorgung und Betreuung der Kinder für die meisten Eltern letztendlich keine Belastung darstellt. Die Zeit mit den Kindern wird als Ausgleich und Bereicherung erlebt. Das überrascht mich nicht wirklich, denn so ist es bei mir privat auch. Aber es ist toll zu sehen, dass Kinder für die meisten Menschen ein Geschenk sind.
Familienbefragung Brandenburg
Für die repräsentative Befragung wurden im Winter 2022/2023 mehr als 4.700 in Brandenburg lebende Familien zu ihrer Lebens-, Arbeits- und Einkommenssituation, zu Stress- und Belastungssituationen sowie zu den Unterstützungswünschen befragt. Zu den zentralen Ergebnisse gehört, dass sich in zwei Familienformen problematische finanzielle Rahmenbedingungen auf besondere Weise und mit weitreichenden Folgen manifestieren. Das sind zum einen die „Alleinerziehenden“ und zum anderen die „Familien mit Migrationshintergrund“. Weiterhin hat die regionale Lage des Wohnortes einen bedeutenden Einfluss auf die Gestaltung des Alltags der Familien – insbesondere in Abhängigkeit von der Nähe zu Berlin und im Unterschied Stadt/Land.