
Wir brauchen mehr Phantasie und qualifizierte Köche
Interview mit Ernährungswissenschaftlerin Prof. Ulrike Arens-Azevêdo,
Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Ernährung und Professorin an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. Im Gespräch
erklärt sie, was sich an der Mittagsversorgung an Schulen und Kitas ändern sollte und wie sich Kinder mit einfachen Kniffen für Gemüse begeistern lassen.
Sie haben in zwei Studien 2015 und 2016 die Mittagsverpflegung an Schulen und Kitas ausgewertet. Demnach ist die Mittagsverpflegung an Schulen und vor allem an Kitas ausbaufähig. Wo liegen die größten Hürden, wenn es um ausgewogene, gesundheitsfördernde Verpflegung geht? Am politischen Willen, am fehlenden Geld, an der nötigen Wertschätzung durch Schulen, Kitas und Eltern? Einfach lässt sich die Frage nicht beantworten, denn es gibt hierfür immer mehrere Gründe. Zum einen, weil mit sehr knappen Ressourcen gearbeitet wird, die bereitgestellten Gelder reichen vielfach nicht aus. Zum anderen arbeiten im Bereich der Mittagsverpflegung an Kitas und Schulen nur selten Profis, die auf die Versorgung von Kindern spezialisiert sind. Drittens spielen die Rahmenbedingungen der Mahlzeiten eine Rolle, also die Frage: Mit wem essen die Kinder, wieviel Zeit bleibt ihnen für das Mittagessen, ist der Speisesaal gemütlich und ansprechend eingerichtet? Alle diese Aspekte gehören da mit hinein. Eine wesentliche Rolle speziell in Deutschland spielt die fehlende Akzeptanz. Es heißt oft: Wenn Essen gesundheitsfördernd ist, dann schmeckt es nicht. Das halte ich für vorgeschoben. Es lässt sich sehr wohl gesund und schmackhaft kochen. Aber es ist eben anspruchsvoller, eine Gemüselasagne zuzubereiten als eine Bratwurst.
Warum sollten wir dem Thema überhaupt so viel Bedeutung zumessen? Viele Kinder bekommen abends zu Hause eine warme Mahlzeit. Warum ist es dennoch wichtig, was mittags außer Haus auf den Teller kommt? In der Tat essen immer mehr Kinder abends warm, aber längst nicht die Mehrheit. Unabhängig davon sollen Kinder am Tag körperlich und geistig fit sein. Das lässt sich am besten dadurch sichern, indem man eine entsprechende Mittagsmahlzeit anbietet. Das gleiche gilt für die Zwischenmahlzeiten. Auch diese sind ein großes Problem. Wenn nur ein Süßigkeiten-Automat bereit steht, können die Schüler sich kaum gesund ernähren. Da muss noch viel passieren.
Wollen sich die Kinder überhaupt gesund ernähren? Ihre Studie zur Schulverpflegung ergab, dass Schüler vor allem Pizza, Pommes und Pasta mögen. Ja, Kohlenhydrate gehen immer. Pommes sind in der Warmverpflegung im Übrigen gar nicht so beliebt, weil sie nicht knusprig auf den Teller kommen. Mit der richtigen Nudel- bzw. Teig-sorte und mit Gemüse statt Gulasch oder Salami sind Pizza und Pasta sehr wohl mit den DGE-Standards vereinbar. Aber dafür brauchen wir mehr Phantasie, mehr Rezepte und mehr Know-how – also mehr Qualifikation. Sehr oft gibt es Erbsen und Möhren, Spinat, Blumenkohl oder Brokkoli. Gerade diese drei letzten Gemüsesorten sind viel zu empfindlich für lange Warmhalte-Zeiten. Die werden dann unappetitlich und das schmeckt den Kindern nicht. Anderes Gemüse wie Rotkohl ist wesentlich besser geeignet.
Also doch lieber weniger Gemüse?
In der Tat essen Kinder und Jugendliche Gemüse nur bedingt gern. Sehr viel beliebter bei ihnen sind Salatbars. Wir haben festgestellt, dass die Schüler, wenn sie sich die Beilagen selbst zusammenstellen können, nach einer Eingewöhnungszeit vermehrt Salat und Rohkost wählen. Stehen solche zur Verfügung, essen die Kinder auch mehr Gemüse, nur eben roh. Mundgerecht geschnittenes Obst wird eher angenommen als ganze Äpfel oder Orangen. Das mag manchmal schwer umzusetzen sein, ist aber mit etwas Phantasie und Tricks durchaus möglich.
Phantasie allein wird nicht reichen… Auf politischer Ebene soll das Thema stärker gebündelt werden, um die vielen Player und deren Aktivitäten besser zu vernetzen. Dazu werden in den kommenden Monaten zwei Zentren auf Bundesebene etabliert. Als ersten Schritt hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft ein Nationales Qualitätszentrum für gesundes Essen in Kita und Schule ins Leben gerufen. Im kommenden Jahr soll das Bundeszentrum für Ernährung an den Start gehen, in dem die Ernährungskommunikation und -beratung der Bevölkerung sowie die Ernährungsbildung ganz allgemein im Vordergrund stehen. Wenn wir die Kinder von Beginn an ans Thema Essen heranführen wollen, so sollte das handlungsorientiert geschehen. Das fängt damit an, dass man schon die Kleinen mit rühren, schneiden oder braten lässt – je nach Alter.
Also muss man schon bei den Eltern ansetzen? So wie Bundesernährungsminister Schmidt, der mit der „Macht Dampf“-Kampagne versucht, die Eltern für eine bessere Speisenversorgung in Verantwortung zu nehmen? In der Tat liegt die Verantwortung für eine gesunde Ernährung der Kinder nicht allein bei der Politik. Die „Macht Dampf“-Kampagne hat im Grunde eine gute Idee gehabt, nämlich dass Eltern sich kümmern müssten. Das passiert ja auch, es gibt überall engagierte Eltern, die z.B. einen Anbieterwechsel erreichen. Aber ob man die bildungsfernen Elternhäuser damit erreicht, bei denen es gerade wichtig wäre, bezweifle ich. Da fehlen uns die richtigen Instrumente. Wir werden diese Eltern nicht mehr erziehen, das ist illusorisch. Der sinnvollere Ansatz ist, die Situation in den Kitas und Schulen zu verbessern und so wenigstens die Kinder zu erreichen. Meine Hoffnung ist, dass die Kinder das erlernte, gesunde Essverhalten dann in die Elternhäuser tragen. Das erleben wir auch schon, wenn z.B. Eltern in der Kita nach einem bestimmten Rezept fragen. Da würde ich mir mehr Austausch wünschen – auch in die andere Richtung. Es gibt beispielsweise in türkischen Familien viele Speisen, die nach unseren Standards als gesund und vollwertig gelten, oft mit Hülsenfrüchten. Von deren „Ess-Kultur“ könnten wir uns durchaus inspirieren lassen.
Was können die Schulen und Kitas vor Ort leisten? Das beginnt mit der Vorbildfunktion: Muss ich überhaupt dabei sein, wenn die Kinder essen, wird oft von den Pädagogen gefragt. Ja, die Vorbildfunktion ist ganz wichtig! Die Leitungen können darüber hinaus für ein ansprechendes Ambiente sorgen, dafür, dass der Speiseraum durch seine Gestaltung auch wirklich zum Essen einlädt. Für die Qualität der Speisen sind in erster Linie die Caterer und Versorger verantwortlich, da können die Eltern bei Bedarf etwas Druck machen und ihre Wünsche äußern. Ein weiteres wichtiges Ergebnis von Studien: Die Kinder müssen sozusagen „angeschubst“ werden. Dieses Anstoßen, „nudging“ genannt, heißt konkret: Durch kleine Veränderungen lässt sich das Verhalten der Kinder steuern. Zwei Beispiele: Werden Äpfel und Orangen in einer Obstschale statt in einer Metallschüssel angeboten, greifen die Schüler deutlich öfter zu. Muss das Dessert bar von den Schülern bezahlt werden, sinkt der Konsum deutlich. Es ist auch ganz wichtig, die Kinder aktiv zu beteiligen, da gibt es viele Möglichkeiten: Sie können den Speiseraum mitgestalten, sie können als Testesser fungieren, sie können eigene Rezepte einbringen. Um all das umzusetzen, müssen Erzieher, Lehrer, Schulleiter und Caterer diese Möglichkeiten kennen. Daher sind Fortbildung und Qualifikation dieser Personengruppen ein erster wichtiger Schritt.
In Brandenburg kostet ein Schul-Mittagsessen im Schnitt 2,57 Euro. Ist das zu wenig? Das ist fast schon ein Dumping-Preis. Wenn wir eine bestimmte Qualität wollen bezüglich Lebensmittel und Personal, muss das auch entsprechend kosten. Unter 3,50 Euro geht das meiner Meinung nach nicht. Aber selbst bei diesem Preis braucht es Subventionen von staatlicher Seite, sei es durch direkte finanzielle Zuschüsse, sei es durch die Übernahme der Betriebskosten oder bereit gestellte Räumlichkeiten und deren Ausstattung.
Das Beispiel Großbritannien zeigt, dass mit politischem Willen und der entsprechenden gesellschaftlichen und finanziellen Unterstützung eine flächendeckende, vollwertige Verpflegung an Schulen möglich ist – warum ist das in Deutschland bisher nicht umsetzbar? Bei dem Punkt bin ich hin- und hergerissen. Einerseits ist Großbritannien tatsächlich Vorzeigeland. Andererseits wird es in Deutschland immer schwierig, sobald man versucht, etwas zur Pflicht zu machen. In Großbritannien sind flächendeckende Angebote leichter umsetzbar, als im deutschen Föderalismus. Beim Thema Schul- und Kitaessen gibt es zu viele Player, allein tausende Träger, tausende Schulen und Kitas und dann noch die Caterer. Die Speisenversorgung an Schulen ist Ländersache, feste Standards sind nur in Berlin und Saarland vorgeschrieben. Bei den Kitas haben die Träger freie Hand. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn der DGE-Standard in allen Bundesländern und damit allen Einrichtungen Voraussetzung für die Ausschreibung der Mittagsversorgung wäre. Das sehe ich derzeit noch nicht, aber wir wollen genau darauf hinarbeiten.





