"Die tun doch nix"

Datum: Montag, 01. Oktober 2012 08:43


Kindern richtig Grenzen setzen

cover2Sie hatten einen anstrengenden, stressigen Tag. Jetzt ist endlich Feierabend, der Stress ist aber noch lange nicht zu Ende. Sie sind mit Ihrem Kind im Supermarkt. Genauso, wie der Rest der Welt. Es ist, als ob es für alle anderen keine bessere Zeit zum Einkaufen geben würde, als genau dann, wenn Sie es müssen. Nachdem Sie eine gefühlte Stunde an der Käsetheke gestanden haben, haben Sie es endlich an die Kasse geschafft. Doch hier geht der Spaß erst richtig los. Während die alte Dame vor Ihnen ihr komplettes Kleingeld auf der Kasse ausgebreitet hat, damit die Kassiererin selber nachzählen kann, hat Ihr Kind die Süßigkeiten entdeckt. Wie könnte es auch nicht? Nachdem Sie ihm schon die Schokolade am eigentlichen Süßwarenregal gewährleistet haben, wollen Sie es nicht noch das komplette Bonbonsortiment vorm Zahlen in den Korb packen lassen. Sie sagen also „Nein“. Ihr Kind fängt an mit der Unterlippe zu zittern, brüllt und schmeißt sich im finalen Endkampf um die Süßigkeiten auf den Boden, wo es noch lauter brüllt. Was tun Sie?

  • Sie werden rot, reden auf ihr Kind ein und verlassen mit gesenktem Haupt und schreiendem Kind den Laden.
  • Sie verstehen die Frage nicht. Schließlich durfte Ihr Kind alle Süßigkeiten in den Wagen laden und musste deswegen auch nicht brüllen.
  • Sie legen sich mit dazu und schreien mit. Mal sehen, wer länger durchhält.


Egal, wie Sie die Situation meistern. Die meisten würden sich wohl wünschen, es würde gar nicht erst soweit kommen. Egal, ob man dadurch den Geldbeutel oder die Nerven oder beides schonen kann. Zumal sich diese oder ähnliche Situationen beinahe mehrmals täglich in vielen Familien abspielen. Angefangen bei Süßigkeiten über die Fernsehzeiten bis hin zum Ausgehen mit den Freunden. Hier kann der richtige Einsatz des Wortes „Nein“ und damit der von Grenzen hilfreich sein. Doch das ist leichter gesagt, als getan.


Erziehung – Was ist das eigentlich?
Das Kinder erzogen werden sollten, ist den meisten klar. Wenn sie dann noch gut erzogen werden, ist das umso besser. Doch was ist eigentlich Erziehung und wann ist sie gut?
Laut Lexikon versteht man unter diesem bedeutungsschweren Begriff „alle Einwirkungen von Erwachsenen auf die Heranwachsenden, und zwar sowohl unabsichtliche [...] als auch absichtliche [...]“ (Goldmann, 1998: 2796) Das bedeutet also, dass alles, was Erwachsene, in den meisten Fällen sind das vor allem die Eltern, machen, eine erzieherische Wirkung auf das Kind hat. Soweit so gut, doch so viele Eltern es gibt, mindestens doppelt so viele Erziehungsstile gibt es auch. Eine der bekanntesten Unterteilungen dieser Stile ist die nach Lewin, Lippitt und White. Sie sind die Begründer der Erziehungsstilforschung. Bei ihnen wird zwischen drei Arten der Erziehungsführung unterschieden: Autoritär, demokratisch und Laissez-Faire. Es gibt eine Vielzahl weiterer Konzepte zu diesem Thema. Grundlegend bezeichnen sie aber ähnliche Prinzipien, da sie auf dieser Einteilung aufbauen. Um ein Verständnis für die Bedeutung von Grenzen in der Erziehung zu schaffen, werden diese drei Stile in Kürze erklärt. Denn je nachdem, nach welchem dieser Stile Kinder erzogen werden, unterscheiden sich zwangsläufig deren Entwicklungen.


Autoritärer Erziehungsstil:
Der Name legt nahe, wie diese Art der Erziehung aussieht. Eltern, die diesen Stil anwenden, diskutieren nicht, sie entscheiden. Der Ablauf in der Familie kann durch diese Erziehung reibungsloser und schneller von statten gehen, da Aushandlungsprozesse ausfallen. Kinder, die so erzogen werden, werden jedoch nicht daran gewöhnt, selbstständig Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu tragen. Außerdem sind sie oftmals auch nicht dazu motiviert, sich selbst zu entscheiden, da keine Notwendigkeit dafür bestand und besteht. Das wird vor allem problematisch, wenn das Kind in ein Alter kommt oder lediglich in eine Situation gerät, in dem oder in der es auf sich alleine gestellt ist.


Laissez-Faire-Erziehungsstil:
Dieser Erziehungsstil bezeichnet das andere Extrem. Das Kind ist quasi vollkommen sich selbst überlassen. Es fällt Entscheidungen selbst, es trägt Verantwortung, es muss nicht fragen und sich nicht rechtfertigen. Probleme muss es selber lösen, bei Erfolgen muss es sich ebenfalls selber loben. Die Vor- und Nachteile sind genau umgekehrt zum autoritären Erziehungsstil. Die Kinder können sich vollkommen frei entfalten, ihnen fehlt aber jegliche Führung. Das kann zum Beispiel zu mangelnder oder fehlender Disziplin oder zu Überforderungen führen.


Demokratischer Erziehungsstil:
Dieser Erziehungsstil wird auch kooperativer Erziehungsstil genannt. Er beschreibt quasi die Schnittstelle der beiden vorangegangenen. Hier werden Kinder in die Entscheidungsprozesse mit einbezogen. Die Eltern achten darauf, dass die Kleinen ihre Kreativität und Leistungsfähigkeit frei entfalten können und legen Wert darauf, ihre Kinder zu selbstständigen Menschen zu erziehen. Diese Methode ist am zeitintensivsten, da erst besprochen wird und dann gehandelt werden kann. Trotzdem gibt es hier klare Hierarchien: Die Eltern sind Eltern und haben am Ende das letzte Wort.


Egal, welchen Stil Eltern anwenden, ob bewusst oder unbewusst. Alle haben ihre Vor- und Nachteile, wobei man aber meinen kann, dass bei dem demokratischen Erziehungsstil die Vorteile überwiegen mögen.
Je nachdem, welche Erziehungsart zur Anwendung kommt, unterscheiden sich der Umgang mit und der Einsatz von Grenzen. Autoritäre Eltern setzen an jeder Stelle eine Grenze, die nicht überschritten werden darf. Laissez-Faire-Eltern hingegen kennen keine bewussten Grenzen. Bewusst deshalb, weil ein Miteinander ganz ohne Grenzen faktisch nicht möglich ist. Eltern, die demokratisch erziehen, verbinden wieder beide Extreme und setzen Grenzen, die aber verhandelbar sind und lassen dazwischen Freiräume, in denen sich die Kinder ausprobieren können. So alt die Geschichte der Erziehung ist, so alt ist auch die Diskussion darüber, wie wichtig Grenzen für Kinder sind. Nach wie vor scheiden sich die Geister. Die einen meinen, dass heutzutage Grenzen in der Erziehung unentbehrlich sind. Andere hingegen sind der Meinung, dass sich Kinder in Grenzen nicht frei entwickeln können und setzen deswegen keine. Der Großteil der Eltern steht jedoch ratlos vor der Frage, ob und in welchen Situationen Grenzen gesetzt werden sollten. Egal zu welcher Gruppe man gehört, es muss bewusst sein: Es gibt kein Leben ohne Grenzen. Nirgends auf dieser Welt gibt es einen Raum, der frei von Grenzen ist. Wo Menschen in Gruppen zusammenleben, müssen zwangsläufig Regeln für Strukturen sorgen. Auch Eltern, die der Meinung sind, sie würden keine Grenzen setzen, stellen sich an der Kasse im Supermarkt an und drängeln sich nicht einfach vor. Sie wahren also die Grenze desjenigen, der vor ihnen in der Schlange steht und erwarten das Gleiche vom Nachfolger. Psychologen und Pädagogen sind sich heutzutage weitestgehend einig, dass Grenzen unentbehrlich sind für eine gesunde Entwicklung eines Kindes. Wichtig ist dabei, dass das Wort „Grenze“ nicht als negativ behaftet betrachtet werden sollte. Vielmehr verbergen sich dahinter Richtlinien für Kinder und auch Erwachsene. Durch bestehende Grenzen wissen wir, wie weit wir gehen können und wie weit wir andere gehen lassen. Sie geben uns dadurch Handlungssicherheit und helfen uns in einer bestehenden Gruppe, sei es Familie, sei es Schule oder eine andere, uns angemessen zu verhalten. Und dabei stehen nicht Strafe und Tadel im Mittelpunkt.Darüber hinaus vermitteln Grenzen Kindern, dass sie ihren Eltern etwas bedeuten. Sie erfahren dadurch, dass Eltern sich um sie sorgen.