Das Mikrobiom & die Rolle des Darms
Das für unser Immunsystem wichtigste Organ ist der Darm. Hier haben sich schätzungsweise 70 bis 80 Prozent unserer Abwehrzellen eingenistet und vollbringen täglich Höchstleistungen. Die junge Ärztin und Autorin Giulia Enders hat das vor zehn Jahren erfrischend anschaulich in ihrem Buch „Darm mit Charme“ beschrieben. Es ist vermutlich der erste Bestseller rund um dieses auf den ersten Blick eher unappetitliche Organ. Über das Mikrobiom, also die Massenansiedlung von Bakterien und anderen Kleinstlebewesen, schreibt sie: „Unsere Darmmikrobiota wiegt bis zu 2 Kilo und beherbergt rund 100 Billionen Bakterien. In einem Gramm Kot sind mehr Bakterien als Menschen auf der Erde. Bekannt ist außerdem, dass die Mikrobengemeinschaft unverdauliches Essen für uns aufknackt, unseren Darm mit Energie versorgt, Vitamine herstellt, Gifte oder Medikamente abbaut und unser Immunsystem trainiert. […] Unser Immunsystem wäre die erste Instanz, die etwas an dieser massiven Besiedelung auszusetzen hätte. Auf seiner Agenda steht ziemlich weit oben: Körper gegen Fremdes verteidigen […] Wie kann da gleichzeitig ein bakterielles Woodstock in unseren Eingeweiden abgefeiert werden?“ Die Frage, die sie so süffisant stellt, beantwortet sie selbst. Die Besiedlung des Darms beginnt mit der Geburt – bei der natürlichen Geburt legen sich die vaginalen Bakterien der Mutter wie ein Schutzfilm über das Neugeborene. Dessen Immunsystem ist noch ziemlich unausgereift und den neuen Gästen gegenüber sehr tolerant. Diese ersten Bakterien und alle weiteren siedeln sich in den Schleimhäuten des Darms, aber auch in denen von Magen, Mund und Nase an. Mit ihnen beginnt das Training des Immunsystems – es lernt gute von schlechten Bakterien und Eindringlingen zu unterscheiden.
Noch weiß die Wissenschaft recht wenig über das Mikrobiom im Darm – wenig überraschend angesichts der Vielfalt und Masse. Was aber bekannt ist, können Eltern im Alltag nutzen: Neben der natürlichen Geburt hat auch die spätere Ernährung großen Einfluss auf die Zusammensetzung der Darmbewohner. Details und konkrete Tipps folgen auf den kommenden Seiten. Zunächst aber folgen noch einige Erläuterungen zum Immunsystem.
Das angeborene Immunsystem
Die Medizin unterscheidet zwischen dem angeborenen, auch unspezifischen Immunsystem und dem erworbenen bzw. spezifischen Immunsystem. Während das angeborene Immunsystem sich bereits im Mutterleib entwickelt und von Beginn an auf Eindringlinge reagieren kann, entwickelt sich das spezifische Immunsystem im Laufe der ersten Lebensjahre.
Beide Immunsysteme haben ihre Berechtigung und helfen uns, gegen Eindringlinge vorzugehen. Das angeborene Immunsystem reagiert schnell, aber unspezifisch auf alle Krankheitserreger. Hat man beispielsweise eine kleine Schnittwunde, über die Bakterien eindringen können, spürt es diese auf und zerstört sie. Allerdings ist es nur begrenzt in der Lage, die Ausbreitung von Keimen und Erregern zu verhindern.
Das erworbene Immunsystem
Dann kommt das erworbene Immunsystem zum Einsatz. Es entwickelt sich im Laufe der Kindheit und lernt mit jedem Infekt hinzu. Wenn ein Kind erstmals einen Infekt durchmacht, ausgelöst zum Beispiel durch einen Erkältungsvirus, merkt sich der Körper den Erreger, bildet Antikörper und Lymphozyten, auch B-Zellen und T-Zellen genannt. Kommt das Kind später erneut mit dem Erreger in Kontakt, ist das Immunsystem bereits darauf vorbereit und kann den Infekt abwehren. Daher kann das erworbene Immunsystem gezielter und effektiver auf bestimmte Erreger reagieren.
Kurz erklärt: Der Nestschutz für Säuglinge
Damit Säuglinge trotz ihres anfangs noch unreifen Immunsystems vor bestimmten Erregern geschützt sind, verfügen sie über einen sogenannten Nestschutz. Dabei gehen mütterliche Antikörper bereits im Mutterleib auf das Ungeborene über. Diese Antikörper bauen sich nach der Geburt im Laufe der ersten Lebensmonate wieder ab. Daher werden bestimmte Impfungen für Säuglinge bereits ab zwei Monaten empfohlen, darunter die gegen Keuchhusten und Pneumokokken. Gut zu wissen für Mütter: Stillen verlängert den Nestschutz, da auch über die Muttermilch Antikörper weitergegeben werden.
Infekte im Kleinkindalter
Da das kindliche Immunsystem dieses Prinzip erst erlernen muss, sind Kleinkinder in den ersten Lebensjahren so häufig krank. Krippen- und Kitakinder haben gefühlt alle vier Wochen eine Schnupfnase. Das ist für die Eltern aufreibend, für das Kind langfristig aber wichtig. Durch den Kontakt mit anderen sind Kinder jeder Menge Erregern ausgesetzt und reagieren darauf mit einem Infekt, mal stärker, mal fast symptomfrei. Kinderärzte bestätigen: 12 bis 15 Infekte pro Jahr sind bei Kleinkindern normal und kein Grund zur Sorge.
Das bessert sich, sobald das Immunsystem ausgereift ist – etwa im Vorschulalter. Die Ausbildung des Immunsystems beginnt bereits im Mutterleib, ab der zwölften Schwangerschaftswoche. Nach der Geburt schützt zunächst der „Nestschutz“ den Säugling vor schweren Erkrankungen. Etwa bis zum fünften Geburtstag ist das Immunsystem weitgehend ausgereift, passt sich allerdings im Laufe des Lebens immer noch weiter an.