Krieg der Sternchen

Datum: Montag, 13. Dezember 2021 11:46

Sprachgender im Laufe der Zeit

1973: Der Duden führt das generische Maskulin ein, das gilt, wenn das männliche und weibliche Geschlecht gleichermaßen gemeint sind. Das Wort „Leser“ soll also offiziell männliche Leser und weibliche Leserinnen umfassen. Frauenbewegungen war das ein Dorn im Auge – sie verwendeten fortan den Schrägstrich, um Frauen in der Sprache sichtbar zu machen: Leser/innen.

1981: Erstmalige Verwendung des Binnen-I. Der Autor Christoph Busch veröffentlicht ein Buch über freie Radios und verwendet darin als erste Person das Binnen-I: Statt Hörer/-innen bzw. Hörer/Innen schrieb er HörerInnen. Die freien Radios der Schweiz übernahmen diese Schreib- und Lesart zuerst, dann folgte die Schweizer Wochenzeitung WOZ und schließlich die deutsche Tageszeitung taz, deren Markenzeichen es wurde.

1990er-Jahre: Früheste Nutzung des Sternchens als Bestandteil eines Wortes. Der Stern* wird auf Computersystemen als Platzhalter für eine beliebige Zeichenkette verwendet – ähnlich wie bei einer Fußnote. Englischsprachige LGBT-Communities begannen, Bezeichnungen wie transsexuell, Transmann oder Transfrau mit trans* zusammenzufassen. Nach und nach verbreitete sich das Gendersternchen, sodass heute die Form Leser*innen die wohl am häufigsten verwendete, nicht-amtliche Form der genderneutralen Sprache ist.

1992: Das Hand- und Arbeitsbuch „sprachgewaltige Frauen“ schlägt u.a. vor, Wörter mit „Er“ im Wortstamm abzuwandeln: Aus „Erfahrung“ soll „Siefahrung“ werden, aus „Erachtens“ „Sieachtens“ und so weiter.

2001: Sprachliche Gleichstellung wird „amtlich“. Das Gleichstellungsgesetz wird in Deutschland auf den Weg gebracht. Zur Sprache heißt es da: „Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Bundes sollen die Gleichstellung von Frauen und Männern auch sprachlich zum Ausdruck bringen. Dies gilt auch für den dienstlichen Schriftverkehr.“ Doppelnennungen wie Beamtinnen und Beamte sowie neutralisierende Formen wie Angestellte halten Einzug in amtliche Dokumente und Pressemitteilungen.

2003: Erste Erwähnung der Gender-Gap durch den Autor Steffen Kitty Herrmann. In seinem Artikel „Performing the gap“ rief er den Unterstrich_ zwischen männlichen und weiblichen Endungen von Nomen ins Leben: Leser_in. Mit diesem Platz sollen alle einbezogen werden, die sich nicht als vermeintliche Männer oder Frauen definieren.

2010er-Jahre: Als Alternative für das Gendersternchen oder die Gender-Gap wird der Doppelpunkt immer beliebter: Leser:in. Diese Schreibweise wird von Screen-Readern für Seheingeschränkte oder Blinde als kurze Pause gelesen und gilt damit als inklusiver. In der Folge verbreitete sich der Genderdoppelpunkt vor allem bei Behörden und Institutionen.

2021: Der Duden schafft das generische Maskulinum bei Personenbeschreibungen ab: Ab sofort meint „der Leser“ nur noch männliche Leser. Spricht man Frauen und Männer an, muss man Leserinnen und Leser bzw. Leser und Leserinnen schreiben – wie es schon vor 20 Jahren mit dem deutschen Gleichstellungsgesetz angestoßen wurde. Gleichzeitig halten Neubildungen wie „Gästin“ oder „Bösewichtin“ Einzug in den Duden.