Dauerhaftes, breitenwirksames und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle fördern
Mit: Dr. Annette Niederfranke, Direktorin ILO Büro Deutschland Internationale Arbeitsorganisation
Was wurde bisher aus Ihrer Sicht bei diesem Ziel erreicht und was muss noch passieren?
Weltweit gibt es unterschiedliche Fortschritte, immer noch sind massive Menschenrechtsverletzungen zu beklagen. Gleichzeitig ist über Fortschritte z.B. in Ländern Asiens zu berichten. Globale Lieferketten wurden aktiv aufgebaut mit verbesserten Produktionsprozessen und hochwertigeren Produkten, für die höhere Preise erzielt werden. Dies setzt positive Kettenreaktionen in Gang – verbesserte Arbeitsbedingungen, soziale Sicherung der Beschäftigten und ihrer Familien und stabiler Handel. In anderen Teilen der Welt vollzieht sich dies wesentlich langsamer.
Wie haben aktuelle Krisen, wie die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg, dieses Ziel bzw. die Diskussion darüber verändert?
Die COVID-19 Pandemie hat große Einbrüche auf den Arbeitsmärkten zur Folge. Von 2019-2021 sind 52 Millionen Vollzeitstellen weggefallen. Kinderarbeit ist seit 2016 erstmals wieder auf 160 Millionen gestiegen mit dramatischen Folgen für die Gesundheit, das Wohlergehen und die Zukunft der Kinder.
Der Krieg in der Ukraine wird weitreichende negative Auswirkungen haben – Hunger, Armut, Flucht, Verlust des Arbeitsplatzes, mangelnder sozialer Schutz und unterbrochene Wirtschaftsbeziehungen.
Wie steht Deutschland bei diesem Ziel aus Ihrer Sicht da?
Deutschland war und ist auf einem guten Weg – trotz der COVID-19 Pandemie. Kurzarbeitergeld und flexible Arbeitszeitregelungen, ein starkes soziales Sicherungssystem mit umfassendem Krankenversicherungsschutz, Elterngeld, Kindergeld, Elternzeit, Arbeitslosenversicherung und sichere Rente haben zu einer Stabilisierung der Arbeitsmärkte und sozialer Sicherung geführt.
Allerdings gibt es auch Teilaspekte des globalen Entwicklungsziels Ziel 8 – menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum – die immer noch unbefriedigend sind, insbesondere die Ungleichheit in der Erwerbsbeteiligung von Frauen und die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern trotz gleichwertiger Arbeit. Im Kontext der Pandemie wird die Sorge einer „Retraditionalisierung“ bei der Aufteilung von Erwerbs- und Pflegearbeit in Familien thematisiert. Deshalb muss Politik Familien bei der Betreuung von Kindern und der Pflege von Familienangehörigen noch stärker entlasten.
Was können wir in Deutschland konkret dafür tun, damit dieses UN-Ziel erreicht wird?
Investitionen in den „Care Sektor“, die Betreuung von Kindern und Pflege von Erwachsenen, könnten global bis 2035 ca. 300 Millionen zusätzliche Arbeitsstellen schaffen.
Auch im Bereich der Arbeitsausbeutung (siehe Fleischindustrie und Erntearbeit) sind starke institutionelle Strukturen nötig, so dass Verstöße direkt gemeldet und geahndet werden. Unternehmen sind verantwortlich für die Einhaltung von Sorgfaltspflichten auch zur Vermeidung von Fällen von Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz.
Wie können Familien mit ihren Kindern über dieses Ziel sprechen und ihre Kinder dafür sensibilisieren?
Der Einkauf ist ideal für die Sensibilisierung: Woher kommen unser Obst und Gemüse? Wer muss dafür arbeiten? Wie viel verdienen Menschen mit dieser Arbeit? Wie leben diese Menschen? Dies sind alles Fragen, die man ganz praktisch besprechen kann, um Kindern nahe zu bringen, wo Gefahren lauern und wie man konkret durch den eigenen Einkauf helfen kann, nachhaltig zu handeln und gute Arbeitsbedingungen weltweit zu unterstützen.