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Titelthema :: Seite 49

urteil, das leider immer noch ver-

breitet, rechnerisch aber nicht

nachvollziehbar ist. Kinder und Ju-

gendliche werden inWohngruppen

im Schichtdienst von mehreren Mit-

arbeitern betreut. Pflegeeltern ma-

chen das zu zweit – rund um die

Uhr. Ihre Bezahlung ist vom Min-

destlohn ziemlich weit entfernt. In

einigen Pflegefamilien gibt ein El-

ternteil seinen Beruf auf, um voll

und ganz für das Pflegekind da zu

sein. Pflegekinder sind sehr wohl

eine Bereicherung, aber sicher nicht

in finanzieller Hinsicht.

Inwiefern sind Pflegekinder eine

Bereicherung, wo liegt der Mehr-

wert für die Pflegefamilie?

Wer ein

Pflegekind aufnimmt, bekommt

ein neues Familienmitglied, das

ist wie bei den eigenen Kindern

eine Bereicherung, denn das Kind

bringt neue Impulse in die Fami-

lie, gibt Liebe zurück. Die Familie

erlebt sich neu. Die Pflegeeltern er-

fahren, dass sie in der Lage sind, ei-

nem zunächst fremden Kind Liebe

und Halt zu schenken und dass sie

dafür etwas zurückbekommen. Die

Familienmitglieder, auch die Ge-

schwister, entwickeln im Umgang

mit dem Pflegekind soziale Kom-

petenzen – sie lernen, dass es nicht

allen Kindern so gut geht, dass es

auch schwierige Familienverhält-

nisse gibt.

Nichtsdestotrotz gibt es zu wenig

Pflegefamilien. Wie ließen sich

mehr gewinnen?

Wir brauchen

mehr Öffentlichkeit. Die Pflegefa-

milien und das was sie leisten, tau-

chen viel zu selten in den Medien

auf. Und wenn doch, [...]

bilden müssen – für Pflegefamilien

nicht. Aber auch von ihnen müssen

und können wir erwarten, dass sie

Weiterbildungen nutzen und ihre

Kompetenzen erweitern und entwi-

ckeln. Das hilft ihnen ja auch, weil

sie sich dann imAlltag und imUm-

gang mit den Pflegekindern siche-

rer fühlen.

Gibt es zuwenig Beratungsangebote

oder werden sie zu wenig genutzt?

Es fehlt einerseits an Transparenz,

andererseits an einheitlichen Stan-

dards. Wie schon angedeutet, ist

die Erziehung von Pflegekindern

eine öffentliche Aufgabe, die aller-

dings im privaten Rahmen wahrge-

nommen wird. Das heißt, die Fach-

kräfte der öffentlichen und privaten

Träger müssen mit ausreichend

Ressourcen ausgestattet sein, um

die Kinder gut im Blick zu behalten

und die Pflegefamilien beraten und

unterstützen zu können. Ein weite-

res Problem sind fehlende überre-

gionale Standards. Die Kinder- und

Jugendhilfe ist zwar bundesweit

einheitlich im Sozialgesetzbuch

geregelt, dann gibt es noch lan-

desweite Richtlinien, aber die kon-

krete Umsetzung passiert auf Ebe-

ne der Landkreise und Kommunen

und da gibt es dann starke Unter-

schiede. So ist z. B. in einer Stadt

eine Fachkraft für 15 Pflegefamilien

zuständig, in der nächsten für 100.

Das hat natürliche Auswirkungen

auf die Qualität der Betreuung und

damit auf die Qualität des Pflege-

verhältnisses.

Ein weiteres Thema, das potenti-

elle und tatsächliche Pflegefami-

lien beschäftigt, ist die mögliche

Rückführung des Kindes zu den

Eltern und die damit verbundene

Unsicherheit. Wie sollten Pflegefa-

milien damit umgehen?

Im Mittel-

punkt steht immer das Kind. Und

in seinem Interesse sollte entschie-

den werden, ob eine Rückkehr zu

den leiblichen Eltern sinnvoll ist.

Pflegeeltern erfüllen einen öffent-

lichen Auftrag, auch wenn er im

privaten Rahmen stattfindet. Das

ist emotional nicht immer einfach

zu vereinbaren. Die wichtigste Fra-

ge aber bleibt: Was ist das Beste für

das Kind? Wir nehmen die Sorgen

und Ängste der Pflegefamilien sehr

ernst und bieten ihnen qualifizier-

te Ansprechpartner an. In der The-

orie sollte es so sein, dass bereits

im Vorfeld der Vermittlung eines

Kindes die Rückführungsperspek-

tive geklärt wird, damit alle Seiten

wissen, woran sie sind. In der Pra-

xis funktioniert das auch meistens,

aber eben leider nicht immer.

Wie kann es gelingen, die Interes-

sen des Kindes mehr in den Mittel-

punkt zu rücken?

Die derzeit ge-

plante Reform des SGB VIII scheint

diesen Gedanken aufzunehmen.

Wir müssen die Kinder mehr ein-

beziehen. Das beginnt schon da-

mit, die Kinder und Jugendlichen

über ihre Rechte zu informieren,

die sie ja durchaus haben. Es geht

damit weiter, ihnen die Chance zu

geben, andere Pflegekinder ken-

nenzulernen und sich mit ihnen

über deren Erfahrungen auszutau-

schen. Bei uns wird das so umge-

setzt, dass wir regelmäßig Ausflüge,

Workshops oder Feste zu bestimm-

ten Themen für die Kinder anbieten.

Kinderräte sind eine weitere Mög-

lichkeit.

Im Zusammenhang mit Pflegefa-

milien taucht immer mal der Vor-

wurf auf, diese wollten sich in ers-

ter Linie finanziell bereichern.

Was sagen Sie solchen Kritikern?

Das ist ein althergebrachtes Vor-

www.lausebande.de

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