Titelthema :: Seite 44
Umgang mit der Herkunftsfamilie
Kommt ein Kind in eine Pflegefamilie, soll es den-
noch den Kontakt zu seinen leiblichen Eltern behal-
ten, wenn gewünscht auch mit seinen Geschwistern
und Großeltern. Dieses Umgangsrecht ist gesetzlich
geregelt. Der Gedanke dabei: Das Kind hat ein Le-
ben lang ein Recht auf seine leiblichen Eltern, soll
auch später noch wissen, wo seine Wurzeln sind.
Zudem sind regelmäßige Kontakte wichtig, wenn
eine Rückkehr des Kindes in seine leibliche Familie
angedacht ist. Sie bieten auch eine gewisse Kontinu-
ität. Aus diesem Grund werden regelmäßige Kontak-
te mit den Eltern meist imHilfeplan festgeschrieben.
Je nach Situation, gehen die Kinder zu ihren Eltern,
kommen die Eltern in die Pflegefamilie oder alle
treffen sich auf „neutralem“ Boden, beispielsweise
zu einem Ausflug. Ob ein Mitarbeiter des Jugendam-
tes dabei ist, hängt ebenfalls vom konkreten Fall ab.
Wie oft die Kontakte stattfinden sollen, ist nicht vor-
geschrieben und wird für jede Familie individuell
entschieden, üblich ist ein mehrstündiger Kontakt
alle zwei bis sechs Wochen.
Fast immer birgt die Beziehung zwischen Pflege-
und Herkunftseltern Zündstoff. Zum einen sind die
Rechte (Sorgerecht etc.) meist auf beide Familien
verteilt, fast immer leben beide Familien in völlig
verschiedenen sozialen Welten, die nun aufeinan-
dertreffen. Zum anderen geben die wenigsten Eltern
ihr Kind freiwillig weg. Die leiblichen Eltern haben
also vor allem Angst, dass sie ihr Kind an die neue
Familie verlieren, dass es sie am Ende mehr liebt,
dass es irgendwann nichts mehr von seinen Eltern
wissen will. Die Pflegeeltern wiederum haben Angst
um das Wohl des Kindes, welches ja nicht ohne
Grund aus seiner Familie genommen wurde, dass
es durch die Besuchskontakte vielleicht noch mehr
Schaden nimmt, dass es vielleicht irgendwann zu-
rück muss in sein altes, schlechtes Leben. Da kann
es schnell passieren, dass das Kind zwischen die
Stühle gerät und in einen Loyalitäts- und Identi-
tätskonflikt kommt. Daher ist für das Kind ganz
entscheidend, dass beide Eltern sich um eine gute
Beziehung zueinander bemühen, dass sie Konkur-
renzdenken und Vorurteile ausblenden. Ein guter
Anfang ist es schon, sich die Sichtweise des jeweils
anderen vor Augen zu führen und dafür Verständ-
nis zu entwickeln. Gegenseitige Achtung und Wert-
Hilfe zur Erziehung gemäß SGB VIII. Die Zuständig-
keit hat u. a. Einfluss auf das Pflegegeld und weitere
Kostenübernahmen, sowie auf die Ausgestaltung
des Hilfeplans. In der Sozialhilfe ist im Vergleich zur
Jugendhilfe das Kind selbst Leistungsberechtigter.
Daher haben Pflegeeltern gegenüber dem Sozial-
hilfeträger keinen eigenen Leistungsanspruch und
somit auch keinen einklagbaren Anspruch auf Be-
ratung.
Um dieser unübersichtlichen Situation sowohl für
Kinder als auch Pflegeltern zu begegnen, hat sich
2014 das Aktionsbündnis „Kinder mit Behinderun-
gen in Pflegefamilien“ gegründet. Es fordert einen
barrierefreien Zugang zu Pflegeverhältnissen, aus-
reichende Entlastungsangebote und finanzielle Un-
terstützung für Pflegefamilien, sowie bundesweite
Qualitätsstandards der Träger. Mehr Informationen:
www.inklusion-pflegekinder.deDie Aufnahme eines behinderten Pflegekindes ist
mit mehr Aufwand und Kosten verbunden. Das
Kind braucht Förderungen, Therapien, eine ge-
eignete Kita bzw. Schule, ggf. sind Umbauten am
Haus erforderlich und ein behindertengerechter
PKW. Wenn möglich und nötig werden Kinder mit
besonderen Bedürfnissen an Pflegefamilien mit be-
sonderer Ausbildung vermittelt, also solche, bei de-
nen mindestens ein Elternteil über eine sozial-, heil-
oder sonderpädagogische o. ä. Ausbildung verfügt.
Dieser Elternteil hat dann nicht mehr die Möglich-
keit, seinen Beruf auszuüben, er soll sich voll und
ganz dem Pflegekind widmen können. Wegen des
höheren Aufwands erhalten solche Pflegefamilien
mehr Pflegegeld.
Wer ein behindertes Kind bei sich aufnimmt, wird
mit weitaus intensiveren Reaktionen aus seinem
Umfeld rechnen müssen, als man sie vielleicht
schon mit einem „normalen“ Pflegekind kennt. Be-
hinderte Menschen gelten trotz aller Bemühungen
um Integration und Inklusion weiter als Sonderfall,
als Außenseiter. Umso wichtiger ist es, dass auch
Kinder mit Behinderungen die Chance bekommen,
in einer Pflegefamilie aufzuwachsen.




