Titelthema :: Seite 69
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Es geht nicht darum, dem Staat
mehr Rechte zu verschaffen, son-
dern den Kindern. Ich glaube, je-
des Elternteil, welches das Beste
für sein Kind will, ist froh, wenn
dieses Kind auch eigenständige
Rechte hat. Tatsächlich hat der
Staat bereits ausreichend Rechte,
die u.a. im Kinderschutzgesetz ge-
regelt sind, einzig bei Pflegekin-
dern bestehen noch gewisse Un-
klarheiten. Derzeit gilt hier noch:
Elternrecht bricht Kindesrecht. Im
Zweifelsfall wird zugunsten der
leiblichen Eltern entschieden und
nicht für das Kindeswohl. Dort
wo die Schutzrechte von Kindern
bedroht sind, muss der Staat die
Möglichkeit haben, zum Wohl des
Kindes einzugreifen. Aber es geht
ebenso um die Förderrechte wie
Chancengerechtigkeit an der Schu-
le. Es ist ja kein Geheimnis, dass in
Deutschland die Bildungschancen
sehr unterschiedlich sind.
Mit der Grundgesetz-Erweiterung
wäre auch eine weitere Forde-
rung der UN-Kinderrechtskonven-
tion umgesetzt. Wo sehen Sie sonst
noch Nachholbedarf?
Es gibt etwa 60 Kinderrechte in der
UN-Konvention. Fast jedes davon
berührt uns. Ich sehe in Deutsch-
land beispielsweise noch Nach-
holbedarf beim Umweltschutz,
bei der eben genannten Bildungs-
gerechtigkeit. Auch sonst werden
die Interessen der Kinder noch
nicht ausreichend berücksichtigt.
Wenn irgend ein Beschluss gefasst
wird, berücksichtigen wir den Um-
weltschutz, die Gleichstellung von
Mann und Frau, die Rechte von
Menschen mit Handicap. Aber bei
einem geplanten Straßenbau wird
nicht gefragt: Kommen die Kinder
noch sicher zur Schule? Hier sind
andere Länder schon weiter. Meist
stehen die Interessen der jetzigen
Wähler und der Wirtschaft im Vor-
dergrund. Ein Beispiel: Die zuneh-
mende Bebauung der Städte ist na-
türlich im Interesse der Wirtschaft
bzw. der Not klammer Kommunen
geschuldet. Aber ist sie auch im In-
teresse der Kinder? Ist es nachhal-
tig, wenn dadurch weitere Freiräu-
me verloren gehen?
Wie hat die Flüchtlingskrise,
mit der auch viele Kinder nach
Deutschland gekommen sind, Ihre
Arbeit in den vergangenen Jahren
verändert?
Wir haben uns relativ schnell auf
die neue Situation eingestellt und
u.a. einen Förderfonds für Flücht-
lingskinder eingerichtet. Unser
Fokus liegt darauf, den Kindern
ausreichend Spielmöglichkeiten
zu bieten, sie für die Schule aus-
zustatten und ihnen den Kontakt
zu Gleichaltrigen zu ermöglichen.
Wichtig ist, sie sozial zu integ-
rieren. Darüber hinaus sind Ab-
schiebungen und Familiennach-
zug schwierige Themen, die von
der politischen Ebene natürlich
anders gesehen werden als von
uns. Ich kann die Skepsis gegen-
über dem Familiennachzug auf po-
litischer Ebene durchaus nachvoll-
ziehen. Aber wir nehmen die Sicht
des Kindes ein: Es hat ein Recht
darauf, mit seiner Familie zusam-
men zu leben. Bei allen Herausfor-
derungen dürfen die Rechte der
zu uns geflüchteten Kinder und
Jugendlichen nicht unter die Rä-
der kommen.
Was halten Sie von der jüngst wie-
der laut gewordenen Forderung
nach einem Wahlrecht ab Geburt?
Ich persönlich habe eine hohe
Sympathie dafür. Aber als Verband
haben wir eine pragmatischere
Sichtweise darauf. Ein Wahlrecht
ab Geburt, bei dem die Eltern das
Stimmrecht ihrer Kinder bis zu ei-
nem gewissen Alter ausüben, hal-
ten wir für nicht vereinbar mit dem
Wahlrecht: Dieses ist weder veräu-
ßerlich noch abtretbar. Wir halten
daher eine Absenkung des Wahlal-
ters auf 14 Jahre für realistisch und
durchsetzbar. Ich bin optimistisch,
dass eine Absenkung des Wahlal-
ters auf Landesebene bald kom-
men wird, auf Bundesebene wird
es sicher noch eine Zeit brauchen.
Die Interessen der nachwachsen-
den Generation würden so mehr
Gehör finden. Die Frage ist doch
auch: Wie kann sich die Jugend
am besten entwickeln, dass sie
Verantwortung übernimmt, dass
aus ihnen aufrechte Demokra-
ten werden? Wenn wir die Stim-
me der Kinder hören und wenn
sie früh lernen sich zu beteiligen,
dann schafft das am Ende mündi-
ge Bürger, was ja im Interesse al-
ler sein sollte.
Wollen die Kinder sich überhaupt
beteiligen?
Das Bild vom politisch uninter-
essierten Jugendlichen stimmt so
nicht. Studien zeigen, dass sich
Kinder und Jugendliche für Politik
interessieren, dass sie eigene Po-
sitionen entwickeln. Viele von ih-
nen engagieren sich. Kinder soll-
ten überall dort wo es möglich
ist, ihre Meinung selbst vertreten,
beispielsweise über Jugendpar-
lamente. Wir haben in Deutsch-
land bereits eine breite Kultur an
Kinder- und Jugendbeteiligung
auf kommunaler Ebene. Auch die
Schule könnte stärker als bisher
ein Lebensort sein, [...]




