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Titelthema :: Seite 40

könnte sie dem Kind erklären, wa-

rum es sowas besser nicht mehr sa-

gen sollte.

In wenigen Wochen kommt wie-

der der Weihnachtsmann in viele

Familien – ist die Geschichte vom

Weihnachtsmann eine Lüge und ist

sie legitim?

Ich finde die Geschich-

te vom Weihnachtsmann völlig in

Ordnung. Das ist ein Mythos, der

zu unserer Kulturgeschichte dazu

gehört. Selbst Zehnjährige genie-

ßen noch das mythische rund ums

Weihnachtsfest, selbst wenn sie

wissen, dass es den Weihnachts-

mann nicht gibt. Insofern sehe ich

überhaupt keinen Grund dafür, ei-

nem Kind, das an den Weihnachts-

mann glaubt und glauben will, die

Wahrheit zu sagen. Das halte ich

pädagogisch nicht für wertvoll.

Und wenn mein Kind nach Hause

kommt und sagt: Meine Freundin

hat gesagt, den Weihnachtsmann

gibt es gar nicht.

Dann stelle ich

die Rückfrage: Was glaubst du

denn? Gibt es den Weihnachts-

mann oder nicht? Kinder im ma-

gischen Alter wollen meist in ihrer

Phantasiewelt bleiben und selbst

Antworten finden. Das sollten El-

tern ihnen nicht abnehmen. Rück-

fragen sind dafür ein wunderbares

pädagogisches Mittel.

Warum lügen Kinder

überhaupt?

Die Gründe

sind ganz unterschied-

lich. Aber lügen hat immer etwas

damit zu tun, Grenzen zu erken-

nen und sie zu überschreiten. Ein

Kind, das anfängt zu lügen, macht

einen riesigen Entwicklungs-

schritt. Jeder Entwicklungsschritt

ist auch mit einem Widerspruch

verbunden. Das gehört zum Auf-

wachsen dazu. Eltern müssen ler-

nen damit umzugehen, Erziehung

hat nichts mit Technik zu tun. Er-

ziehung heißt, sich in das Kind hi-

neinzudenken und zu -fühlen. El-

tern müssen das, was ihr Kind sagt

und tut, nicht akzeptieren, aber sie

sollten es verstehen.

Wie sollten Eltern reagieren, wenn

Kinder sie offensichtlich anlügen –

unabhängig von Fantasie-Geschich-

ten, sondern in Alltagsdingen?

Das kommt auf das Alter des Kin-

des an. Bei einem Vierjährigen

würde ich gar nichts sagen oder

ihm erklären, dass es nicht der

Wahrheit entspricht. Und wenn er

widerspricht, dann sage ich ihm

noch mal, dass das nicht wahr ist

und dann reicht das auch schon

völlig aus. Lügen ist eine Grenz-

überschreitung und diese sind in

dem Alter völlig normal. Bei einem

neunjährigen Kind dagegen sollte

ich mich fragen: Was steckt dahin-

ter? Was will mir das Kind damit

sagen? Will es vielleicht auf etwas

aufmerksam machen? Egal ob bei

einem Vierjährigen oder Neunjäh-

rigen: Bestrafen wäre der falsche

Weg, Strafen sind völlig kontra-

produktiv.

Welche Rolle spielen Eltern beim

Erlernen vom richtigen Umgang

mit Lüge und Wahrheit? Sollten sie

Vorbild sein?

Natürlich haben El-

tern eine Vorbildfunktion. Kinder

registrieren sehr wohl, wenn El-

tern Notlügen anwenden, z.B. sa-

gen: „Ich habe kein Geld dabei, du

kannst jetzt nicht aufs Schaukel-

pferd.“ Und dann macht sich das

Kind seine Gedanken. Dennoch

sind Notlügen in bestimmten Si-

tuationen notwendig und legitim.

Älteren Kindern sollten die Eltern

dann aber auch erklären, warum

sie in einer bestimmten Situation

nicht die Wahrheit gesagt haben.

Kleine Kinder lügen noch nicht

aus Höflichkeit – wie sollten El-

tern reagieren, wenn der Vierjäh-

rige im Bus laut sagt: Die Frau ist

aber dick?

Das ist keine Sache zwi-

schen Mutter und Kind, sondern

zwischen dem Kind und der be-

treffenden Person. Da sollte sich

die Mutter raushalten. Hinterher

Interview mit Dr. Jan-Uwe Rogge, Familienberater und

Erziehungsexperte. Er ist Autor zahlreicher Bücher,

darunter „Lasst die Kinder träumen. Warum Phantasie

wichtiger ist als wissen“ und „Kinder wollen Antworten.

Wie spirituelle Erziehung Familien stärkt“.

Die „Lüge“ vom Weihnachtsmann

ist völlig in Ordnung