Titelthema :: Seite 42
nicht selten. Einige Kinder haben irreversible Schä-
den, beispielsweise durch Alkohol- oder Drogen-
konsum der Mutter während der Schwangerschaft.
Je nachdem, was das Kind bisher erlebt hat und
wie sehr es von seinen Erfahrungen geprägt wurde,
kann es folgende Auffälligkeiten zeigen: Einnässen,
Essen horten, Klauen, Misstrauen, fehlendes Selbst-
wertgefühl, Nichtzulassen von Nähe, fehlendes Mit-
gefühl und Empathie, Hyperaktivität, Aggressivität,
fehlende Frustrationstoleranz, Entwicklungsver-
zögerungen und Lernschwierigkeiten. Bestimmte
Schädigungen lassen sich auch mit noch so viel Lie-
be und Zuwendung, Konsequenz und Alltagsstruk-
tur nicht vollständig beheben. Nichtsdestotrotz sind
gerade für Pflegekinder klare Regeln, Grenzen, Ritu-
ale, feste Strukturen und Abläufe und Regelmäßig-
keit sehr wichtig und hilfreich. Pflegekinder brau-
chen ein besonderes Maß an Verlässlichkeit und
Geborgenheit. Die Pflegeeltern benötigen vor allem
Ruhe und Gelassenheit, Kraft und starke Nerven.
Wie schwierig die Kinder auch sein mögen: Pflege-
eltern sollten nichts persönlich nehmen, sich nicht
persönlich angegriffen oder verletzt fühlen.
Der Alltag mit Pflegekindern ist aufwendiger: Arzt-
besuche, Therapie, Besuche bei den leiblichen El-
tern, Gespräche mit dem Jugendamt – all das nimmt
Zeit in Anspruch. Wie auch bei den eigenen Kindern
sollten die Pflegeeltern sich in Kita und Schule für
ihren Zögling einsetzen. Das kann manchmal etwas
schwierig sein, wenn den Erziehern oder Lehrern
das Verständnis für die besondere Situation des
Pflegekindes fehlt.
Auch wenn das Pflegeverhältnis irgendwann endet,
spätestens mit der Volljährigkeit, ist das Kind nicht
einfach aus der Welt. Je nachdem, wie vertrauens-
voll das Verhältnis in den vorangegangenen Jahren
war, wollen beide Seiten auch über den 18. Geburts-
tag hinaus Kontakt halten.
Ein weiterer Unterschied zum Alltag mit eigenen
Kindern: Das Sorgerecht für das Pflegekind geht
nicht auf die Pflegeeltern über, sondern bleibt in der
Regel bei den Herkunftseltern oder bei einem Vor-
mund. Das heißt konkret: Bestimmte Dinge, wie den
Aufenthaltsort, die Wahl des Kindergartens oder der
Schule oder auch medizinische Behandlungen müs-
sen die Pflegeeltern mit dem Jugendamt bzw. den
Herkunftseltern oder dem Vormund abstimmen. Da
hilft bei Bedarf. Routinekontrollen im Sinne regel-
mäßiger Hausbesuche sind eher die Ausnahme.
Durch das jährliche Gespräch zum Hilfeplan ist
ein regelmäßiger Austausch gewährleistet. Besteht
ein begründeter Verdacht, dass es dem Pflegekind
in der Pflegefamilie nicht gut geht, ist das Jugend-
amt zum Besuch berechtigt und verpflichtet – auch
unangemeldet. Dies ist aber die Ausnahme. In
der Regel funktionieren die Pflegeverhältnisse so
gut, dass keine zusätzlichen Kontrollen nötig sind.
Der zuständige Sozialarbeiter ist Ansprechpartner
für Fragen, Sorgen und Ängste, für rechtliche und fi-
nanzielle Aspekte, für Beratungen und Schulungen
der Pflegefamilie. Je nach Struktur des Jugendamts
und je nach Anliegen hat die Pflegefamilie einen
festen Ansprechpartner oder aber mehrere. Wie gut
die Zusammenarbeit mit dem Jugendamt funktio-
niert, hängt u. a. davon ab, für wie viele Pflegefami-
lien der Mitarbeiter zuständig ist. Eine Auswertung
des Deutschen Jugendinstituts ergab, dass es dabei
eine große Bandbreite gibt – so muss in einigen
Kommunen ein Mitarbeiter 15 Pflegekinder betreu-
en, in anderen 200.
Alltag einer Pflegefamilie
Pflegefamilien müssen bedenken, dass der Alltag
mit einem Pflegekind unter Umständen ganz anders
ist, als der mit den eigenen Kindern. Pflegekinder
haben in der Regel viel durchgemacht, bevor sie in
eine Pflegefamilie kommen, in jedem Fall die (zeit-
weise) Trennung von den Eltern, oft noch sehr viel
mehr. Vernachlässigung, Misshandlung, sexueller
Missbrauch und andere Formen der Gewalt sind
119
StrukturelleAspekte der Pflegekinderhilfe
Die Schlüsselzahlen lagen bei rund 80% der Kommunen über dem Richtwert
von 1:35 (Deutsches Jugendinstitut 1987) und bei rund 47% über dem Verhält
-
nis von 1:50 (Empfehlung des Deutschen Städte- und Landkreistags 1986).
Rock u.a. (2008a) kommen auf ähnliche Schlüsselzahlen für Rheinland-Pfalz:
Diese schwanken zwischen 29 bis 151 Fälle pro Fachkraftstelle. In ¾ der Ju
-
gendämter werden von einer Fachkraft mehr als 50 Fälle betre t. Die urch
-
schnittliche Fallbelastung in Rheinland- Pfalz beträgt 69,5.
Wiesner u.a. haben dagegen bereits 2000
ine fachliche E pfehlung von
25 zu bearbeitenden Plegekinderfällen pro Stelle ausgesprochen:
»Die aus
der Zeit vor dem Inkrafttreten des SGB VIII tammenden Empfehlungen zur
Austatt ng der sozialen Diente mit Fachkräften zur ord ungsgemäßen Wahr-
nehmung der Aufgaben können im Hinblick auf den fachlichen Anspruch der §§
36, 37 SGB VIII nicht mehr herangezogen werden. Dies gilt insbesondere für die
Richtzahl des Deutschen S ädtetages von 50 Plegekindern pro Fachkraft. Auch
die dem Modellprojekt Beratung im Plegekinderbereich des DJI zugrunde liegen-
de Richtzahl von maximal 35 Plegeverhältnissen pro Fachkraft wird den fach-
lichen Anforderungen dieses Gesetz s nicht mehr gerecht. Grundsätzlich wird eine
Richtzahl zu fordern sein, die bei maximal 25 Plegekindern oder Jugendlichen
pro Fachkraft liegt«
(ebd., § 37 SGB VIII, Rn. 11, S. 576). In den Empfeh
-
lunge zur Weiter twicklung der Vollzeitplege in Niedersachsen wird eine
diferenzierte Berechnung von Mitarbeiterkapazitäten und Schlüsselzahlen
auf der Basis von Modulen vorgeschlagen (Niedersächsisches Ministerium für
Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit 2008, S. 4 – 9f.).
Schlüsselzahlen sagen natürlich allein nichts über die Qualität der Dienst-
leistung »Plegekinderhilfe« aus. Es kommt darauf an, welche Aufgaben und
Dienstleistungen vom Pflegekinderdienst selbst angeboten werden und ob es
Bereiche gibt, die ausgelagert sind und von freien Trägern durchgeführt wer-
den. Auch die Qualiikation und Erfahrung der Fachkräfte spielt eine Rolle.
19
DieseEmpfehlungwird inderdrittenNeuauflagewiederholt:Wiesner (2006b),§37SGBVIII,Rn.11,S.676).
B.2.3
40%
30%
20%
10%
0%
1:16 bis 1:30
14%
18%
38%
15%
15%
1:32 bis 1:50 1:51 bis 1: 60 1:61 bis 1:70 1:71 bis 1:200
Abbildung 3: Volle Fachkraftstelle im Verhältnis zur Zahl der betreuten Pflegekinder
Quelle: Strukturerhebung des DJI (DJI/DIJuF 2006)
Volle Fachkraftstelle im Verhältnis zur Zahl
der betreuten Pflegekinder (2006)




